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Klebestreifen und Kinotrailer

Die Bahn zieht Bilanz. Neben einem Umsatzzuwachs in Höhe von 8,1% verzeichnet die Bahn 10,7 Millionen zusätzliche Fahrgäste, was einem Fahrgastzuwachs von 2,26% entspricht. (Quelle:Bilanz DB 2007 PDF)Dagegen stehen die aktuellen Zahlen der Sachbeschädigungen, welche sich nicht nur auf Graffiti beziehen. In der Bild Zeitung heisst es:

“Hamburg (ddp). Die Zerstörungswut vieler Bahnreisenden hat im vergangenen Jahr einen Gesamtschaden in Höhe von mehr 50 Millionen Euro verursacht, unter Berufung auf Zahlen der Deutsche Bahn AG. Demnach hat der Konzern 2007 rund 46 000 Strafanzeigen wegen Vandalismus gestellt, davon allein 22 000 gegen Graffiti-Schmierer. Von Sachbeschädigungen wie Zerkratzen von Scheiben, Zerstören von Sitzen und Schmierereien am meisten betroffen waren Bahnhöfe und Züge in Großstädten. Von den Tätern werde Schadensersatz gefordert, warnt die Bahn.”

Seitdem die Aufklärungsrate der Polizei bei Sachbeschädigungen durch Graffiti auf deutschen Zügen bei rund 40 Prozent liegt, kann man diese Zahlen relativ nüchtern betrachten, so wurden doch im Vergleich 2005 laut Bahn 70 Millionen Euro ausgegeben. Interessant ist auch wie die deutsche Bahn diese Delikte in der eigenen Bilanz kalkuliert. Die Reinigung eines besprühten DB Zuges soll tatsächlich, wie hier angegeben, 15.000-20.000 Euro kosten. In der DB Kampagne “Mach nicht alleskaputt” wird ein solcher Delikt auf genau 10.400 Euro betitelt, wie man hier nachlesen kann. Hinzu kommen offizielle Zahlen die den tatsächlichen Betrag der Aufwendungen für Graffitireinigungen auf 20 Millionen betiteln, wie man z.B in einem Beitrag des Ärzteblattes nachlesen kann. Wie auf der Website der deutschen Bahn im Rahmen der “Macht nicht alles kaputt” Kampagne Resumee gezogen wird heisst es:

“Beschmierte Züge, beschädigte Sitze und zerkratzte Scheiben sind ein Problem, mit dem die Deutsche Bahn täglich konfrontiert wird. Die Vandalismusschäden betragen bundesweit mehr als 50 Millionen Euro jährlich. “

Was man hier wirklich der Graffiti Szene anlasten kann und was der (z.B.) Hooligan Szene welche auf ihren Trips ganze Züge auseinander nehmen ist unklar. Differenziert wird an der Stelle nicht.

Doch bleiben wir bei der “Mach nicht alles kaputt” Kampagne. Im September 2007 ging das auf der DB Website online:

“„Mach nicht alles kaputt!“ lautet das Motto einer landesweiten Kampagne, die die Deutsche Bahn AG unter der Schirmherrschaft des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport, Uwe Schünemann, heute in Hannover gestartet hat.”

Da haben wir also die Antwort der Deutschen Bahn, eine deutschlandweite Kampagne, gezielt Schulgänger im Alter von 14-18 Jahren sollen direkt angesprochen werden. Welches Niveau diese Kampagne wirklich hat zeigt dieser Kino Trailer. In diesem wird ein junger langhaariger Junge gezeigt welcher im ICE einem Mädchen gegenüber sitzt. Das Mädchen ist (nachdem einige Male die Dosen in seiner Tasche klappern) sichtlich abgetörnt und wechselt den Platz. Abschliessend der Claim “Vandalismus törnt ab” und fertig ist eine wahre “Meisterleistung” der DB Graffiti Prävention. Wie erwähnt, bezeichnend auf welchem Niveau das Ganze abläuft. Weiter gehts, in einem Interview mit Professor Dr. Christian Pfeiffer (Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen früheren Minister für Justiz in Niedersachsen) wird ganz klar festgestellt das es keinen Sinn macht auf diese Szene einzugehen, sich mit dieser zu beschäftige, laut Herrn Prof.Pfeiffer heisst es:

“Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass freie Flächen für legales Graffiti der Sachbeschädigung ein Ende bereiten würden. Vielen Graffiti-Sprayer geht es einfach nicht darum, sich künstlerisch auszutoben. Legales Sprayen wäre für sie einfach nicht attraktiv.”

Allein dieses Statement bedarf keinen weiteren Kommentar, weiter heißt es in dem Interview:

“Es geht nicht nur darum, moralisch an die Jugendlichen zu appellieren und ihnen Respekt vor dem Eigentum anderer beizubringen. Entscheidend ist, die Jugendlichen mit attraktiven Angeboten im Leben zu verankern. Wer satt an familiärer Zuwendung und Anerkennung außerhalb der Familie ist, wer mitten im Leben steht und als Sportler oder Musiker im sozialen Feld irgendwo seine Rolle gefunden hat, der hat es nicht nötig, durch Sachbeschädigungen auf sich aufmerksam zu machen. Er braucht kein illegales Graffiti, um sich ein Image zu verschaffen. Es sind immer Defizite, die kompensiert werden. Also muss es darum gehen, Jugendliche am besten durch Ganztagsschulen, die nachmittags diesem Motto “Lust auf Leben wecken” folgen, zu einem inhaltsreichen Leben zu bringen. Gegenwärtig ist der Nachmittag von Jungen viel zu stark durch aggressive Computer-Spiele und passivem Fernsehkonsum geprägt. Der durchschnittliche männliche Hauptschüler verbringt fünf bis sechs Stunden mit Medienkonsum pro Schultag. Ein krankes Leben. Es ist nicht verwunderlich, dass bei den Mehrfachtätern von Graffiti ganz klar die Hauptschüler dominieren und die Gymnasiasten am wenigsten vorkommen.”
Da fragt man sich wieder mal, wo hat der Herr Prof. Pfeiffer denn seine Umfragenwerte her? Hat er tatsächlich die Szene befragt oder mutmaßt man sich an einfach festzustellen? Naja lassen wir das mal so stehen. So ist also für Herrn Prof. Pfeiffer Graffiti ein rein illegales Phänomen, es wird direkt ausgeschlossen das dem “Täter” wirklich etwas an künstlerischen Werten liegt. Wie er hier weiter antwortet:

“Die kleine Gruppe der künstlerisch ambitionierten Sprayer muss andere Wege suchen. Sie muss sich deutlich distanzieren von der viel größeren Gruppe derer, die nicht Kunst produzieren, sondern nur schlichte Sachbeschädigung. Die künstlerischen Sprayer sollen sich andere Orte, andere Möglichkeiten suchen, um ihrem künstlerischen Streben Ausdruck zu verleihen. Die Nähe zur Schmuddelszene von illegalem Graffiti ist für sie sehr schädlich.”

Aha, Einspruch Herr Prof., legale Flächen bringen doch laut Ihnen nichts, wie soll dann diese kleine Gruppe künstlersich ambitionierter größer werden (bytheway, diese Gruppe ist weitaus größer als Sie denken) um sich von der wie Sie es formulieren “Schmuddelszene” zu distanzieren? Wenn Sie sich ernsthaft Gedanken gemacht hätten, nicht einfach Umfragewerte in den Raum stellen welche nie erfragt wurden, wenn Sie als Protagonist einer derartigen Kampagne vorgeschoben werden prophezeie ich ein klägliches Scheitern. Wenn Sie sich wirklich einmal über vernünftige Prävention Gedanken machen wollen lege ich Ihnen nah sich mit Sachverständigen und Kennern der Szene auseinanderzusetzen. Von mir als Tip Frau Barbara Uduwerella aus Hamburg. (Website). Ein für Sie sehr interessanter Artikel namens „Unser Mädchen heißt Graffiti“ finden Sie hier. Definitiv lesenswert.

Mehr über dieses Interview und auch die Kampagne “Mach nicht alles kaputt” kann man hier lesen.
Die Bahn hat aber noch ein weiteres Tool in der Pipeline um Graffiti auf Zügen entgegenzuwirken. Klebekreuze. Hierzu berichtet ad-hoc-news:

“Im Kampf gegen Graffiti an Zügen der Deutschen Bahn sollen künftig Klebestreifen zum Einsatz kommen. Die Bahn vereinbarte nach Angaben eines Sprechers mit der Bundespolizei die Aktion «Graffiti crossen». Dabei würden die Graffiti mit 90 Zentimeter langen Klebestreifen zunächst «durchgestrichen», sagte der Sprecher am Mittwoch in Düsseldorf. Dadurch könnten die Werke, die häufig nachts aufgesprüht werden, an den Folgetagen nicht mehr unversehrt fotografiert und beispielsweise im Internet dokumentiert werden. Unter «crossen» versteht man in der Sprayerszene das Durchstreichen von Graffiti, die dadurch «entwertet» werden. Experten erwarten deshalb, dass auf die Weise weniger Graffiti auf Züge gesprüht werden.”

Den kompletten Artikel findet man hier. Einen weiteren Artikel auf Focus online kommentiert ein Leser wie folgt:

“Aus der Retrospektive betrachtet wird den Menschen der folgenden Generationen noch auffallen, wie unverantwortlich der Umgang mit unkommerzieller Kunst in unserer Zeit war. Die Menschen werden nach Relikten der Künstler suchen und werden sich fragen, wie es möglich war, die Werke so geringschätzend zu behandeln.”

Eines schönes Schlusswort wie ich meine. [TWISTER]