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On Dash

Ein Text von Anna T.Berger und Bilder zur Dash Snow Show in der CFA Gallery Berlin 2007.

Wenn man Dash das erste Mal trifft, denkt man nicht, dass er aus unserer Zeit stammt. Dash, geboren 1981, wirkt nicht wie ein Mann des Jahres 2007. Dash wirkt, mit seinen langen Haaren, mit seiner hippiesken Sonnenbrille und seiner Kleidung, mit seiner Vorliebe für die Musik der späten sechziger Jahre und den ganzen psychedelischen Sound, wie jemand, der aus den sechziger Jahren in unsere Zeit katapultiert wurde. Und das ist natürlich kein Zufall, sondern eine bewusste Rache an einer dummen Zeit. Oder, genauer gesagt, zwei dummen Dekaden. Dash Snow ist ein Kind der achtziger Jahre, und die waren, bei allem Miami- Vice-artigen Pastellwahnsinn, im Kern ein düsteres und melancholisches Jahrzehnt: Es war das Jahrzehnt der Reagonomics und des Thatcherism, das Jahrzehnt des wahnsinnigen Wettrüstens, die Leute hatten keine sozialen Utopien mehr, sondern Angst: Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, Angst vor dem neuen Typus der Batemans, die sie gnadenlos wegsanieren würden, Angst vor dem Atomkrieg und dem Waldsterben, und dann kam, Mitte der Achtziger, auch noch die Angst vor Aids dazu. Arbeit, Liebe, Leben: alles war existentiell bedroht. Das also war die Zeit, in die Dash hineingeboren wurde; das Jahr, in dem er zwanzig wurde war das Jahr 2001, das den Beginn einer neuen Angst-und-Hysteriezeit einläutete: Die sogenannten Millenium Years werden im Gedächtnis bleiben als das Jahrzehnt, das vomKrieg gegen den Terror, von Islamismusangst und einer allgemeinen Entkräftung geprägt war: in den Städten wurde architektonisch die heile alte Welt beschworen, neue Formen entstanden fast nicht. Es ist klar, dassman sich in einer solchen Zeit fragt, wie und wo es weitergeht; an was man anknüpfen kann – und es ist kein Wunder und sehr sympathisch, dass Dash Snow einfach beschloss, seine Zeit vorübergehend zu verlassen und, wie ein Archäologe, in die Tiefen der sechziger und der zwanziger Jahre abzutauchen und zu erforschen, wie eine Zeit funktioniert, die ans Experiment, an die Zukunft und an sich selbst glaubt. Dash arbeitet viel mit altem, vergilbtem Papier, das er aus alten Büchern reisst oder irgendwo findet. Auf diese Papiere klebt er Kollagen aus Worten und Bildern – und das Ergebnis sieht aus, als hätten die Beat-Poeten mit Max Ernst zusammengearbeitet. Wilde körperliche Begierden stoßen auf Pressephrasen, ausgeschnittene Wortfragmente laufen wie besorgte Polizisten des Sinns über die nackten Körper. Natürlich ist das nicht immer originell – aber es ist notwendig. Denn indem Dash sich zu Kerouac und Max Ernst macht, indem er in ihre Rolle, ihre Ästhetik schlüpft, forscht er nach der Mechanik des Aufbruchs, der wilden, lebensfrohen, hochenergetischen Anarchie, die Ernsts und Kerouacs Zeit prägte und die unserer Zeit so fehlt. Amnähesten kommtman DashsMethodemit demWort der “Verdichtung”. Verdichten heisst einerseits komprimieren, verkürzen, deutlicher machen, andererseits bedeutet es, Dinge aus dem Feld der alltäglichen Prosa in den Raum der Poesie zu entführen – und Poesie ist, nach dem griechischen Ursinn des Wortes Poeisis, nichts anderes als die “Kunst der Hervorbringung”. Was wird hier, in den poetischen Kollagen von Dash, hervorgebracht und deutlich gemacht? Dash komprimiert Worte und Bilder unserer Gegenwart, die Headlines der Zeitungen, die Bilder nackter Frauen und die der großen Gangster, zu dadaistischen Formeln, die plötzlich, fast gewaltsam, die Versprechen und die Verbrechen unserer Zeit auf den Punkt bringen. Auch die Wortkollagen sind Verdichtung: Sie zerlegen die Schlagzeilen in Einzelteile, quetschen diese zu Nonsens-Botschaften zusammen – und bringen so versteckte Wahrheiten und Begierden ans Licht. Es sind Bilder, die die großen politischen Ideologien, den Irakkrieg, die Glücksversprechen desWestens, Reichtum, Sex undMacht, die Slogans vonWerbung und Medien konterkarieren mit Bildern eines individuellen Gegenglücks, das sich mit den Bildern und kollektiven Heilsversprechen von Politik und Werbung nicht fassen lässt. Dieses Gegenglück findet man auch in der Finesse der Materialien – wenn er ein Wort auf ein Stück Holz klebt und so die Bedeutung des abstrakten Begriffs durch die unmittelbare Sinnlichkeit des gemaserten Materials unterlegt und auflädt. Es gibt viele melancholische Gesten in Dashs Arbeiten, vergilbtes Papier, Schwarzweißästhetik, dazu Vanitasmotive, Schädel, Todessymbole. Doch Dash gibt sich dieser Melancholie nicht hin, er feiert sie nicht, er hält gegen sie die Emanationen einer wüsten Lebendigkeit und des absoluten Glücks im Hier und Jetzt: Bilder von küssenden Nackten, Spermaspuren, Bilder wüster Exzesse, und dieses Gegengift ist auch ein Vorwurf an die Zeit, die sich komplett hat einlullen lassen und nun entkräftet am Boden liegt. Wie könnte der Elan von Dada, Surrealismus und Beat Generation, wie könnte die Aufbruchsenergie der zwanziger und sechziger Jahre in unsere Zeit übersetzt werden: Das ist die Frage, die man sich vor Dashs Arbeiten stellt, vor seinen Kollagen wie vor den Polaroids, die er von sich und seinen Freunden machte und die der Atlas einer großen Odyssee ins Erwachsenwerden sind – und dass Dash, der Glücksarchäologe und Held des unmittelbaren Moments, diese Fragen nicht immer beantwortet, ist nicht schlimm: er ist erst 26 Jahre alt; er hat noch Zeit, Antworten zu finden.

Anna T. Berger, Sommer 2007 (CFA)

Viele Photos der Show “The End of Living – The Beginning of Survival” welche vom 23. bis 27.April 2007 in der Berliner CFA Gallery stattfand plus ein Video hier im englischen Artikel. Dash starb letztes Jahr an einer Überdosis Heroin im Lafayette House, einem Hotel in Manhattan. (Spiegel Artikel: Erst Überdosis, dann Überhöhung)