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The Day Street Art Died

Wie bereits erwähnt überlassen wir die Kommentare über das laufende Berliner Turmkunst Projekt anderen, in dem Fall Lukas Kampfmann. Ein Text aus der aktuellen Proud Wer sich für den Stand der Dinge am Bierpinsel interessiert geht einfach mal vorbei (Turmkunst Website) oder schaut regelmäßig im Photoblog von Just vorbei. Den durchaus interessanten Text haben wir in der aktuellen Proud gefunden.


Von Löwen und Lämmern – The Day Street Art Died
Text: Lukas Kampfmann / Proud Magazin April Ausgabe 2010

Während diese Zeilen gedruckt werden, schwebt in Steglitz ein Künstler 48 Meter über dem Boden. Er steht in einer unruhig pendelnden Blechkiste, gesichert von zwei Stahlseilen an einem Kran und malt mit einer Sprühdose, die an seinem Arm festgebunden ist, den Bierpinsel an.

Der Bierpinsel ist jenes surreale Gebäude, das illustriert, wie man sich den 70ern die Zukunft vorgestellt hat. Halb Raumschiff, halb hässlich, wacht er über die Joachim-Tiburtius-Brücke, eine deplatzierte Schnellstraße, die sich durch die Steglitzer Kleinstadtatmosphäre fräst. Seit 2002 stand der Bierpinsel leer, verwaist, bis er 2006 gekauft und jahrelang renoviert wurde. Um die Wiedereröffnung zu feiern läuft dort in diesen Tagen unter dem Namen „Turmkunst“ einesder ambitioniertesten Berliner Kunstprojekte seit der Reichstagsverhüllung. Die vier international bekannten Künstler Flying Förtress, Honet, Sozyone und KR Costello, allesamt Urban Art Veteranen, bemalen seit dem 1. April über 6 Wochen lang die Fassade des Turms. Sogar der weltweit wichtigste Street Art Blog „Wooster Collective“ aus New York, adelt die Veranstaltung mit einer Ankündigung, die auf den Punkt bringt, was jeder denkt, der die Pressemitteilung gelesen hat: „This project looks amazing.“

Im Turm gibt es eine Ausstellung der Hamburger Vicious Gallery, Szenefotograf JUST veröffentlicht ein Buch über die Aktion, und beim ersten Pinselstrich singt Promi-Figaro Udo Walz. Whoa. Halt. Stop. Udo Walz und JUST? In einem Satz? Beim selben Projekt? Wenn man hört, dass ein Fotograf, der seine Nächte mit der Kamera in der Hand über den Dächern Berlinsverbringt und ein Friseur, der für einen Haarschnitt dreistellige Summen nimmt, bei einem Street Art Projekt
zusammenkommen, hört man besser genau hin. Denn so viel biblische Harmonie zwischen Lamm und Löwe wirft einige Fragen auf.

„Turmkunst“ ist das Projekt von Larissa Laternser. Larissa stammt aus einer erfolgreichen Unternehmerfamilie; Ihre Mutter Tita, eine Immobilienentwicklerin, hat den Bierpinsel 2006 gekauft, ihr Vater Heinz besitzt neben einer Baufirma mit 400 Mitarbeitern ein Hotel, einen Pferdehof und einen Kurgarten in der Uckermark. Larissa selbst hat vor ein paar Jahren eine Computerfirma gegründet, beschenkt als ehrenamtliche Vorsitzende des Berliner „Weihnachtsengel“ Vereins jährlich das Kinderheim Elisabethstift und wird eines Tages die Baufirma ihres Vaters übernehmen. Doch für den Moment ist sie Geschäftsführerin der „Schlossturm GmbH“, der Betreibergesellschaft des Bierpinsels, der also ab jetzt Schlossturm heißt. Diese Firma, die eben auch das Turmkunst Projekt organisiert und verantwortet, bewirbt den Bierpinsel auf ihrer Website als „Ihre Location von morgen“. Stattfinden sollen hier einmal Tagungen, Produktpräsentationen und Unternehmensfeiern mit Panoramablick über Steglitz und Berlin. Das macht Sinn, hat sich doch klassische Gastronomie hier draußen, jenseits des S-Bahn Rings, nie lang gehalten. Was keinen Sinn macht, ist der Zusammenhang von Street Art und Business-Events. Street Art lebt und stirbt mit ihrer Subversion, sie findet ihren Kontext in der Illegalität, in der Anonymität. Also warum so viel Geld in die Hand nehmen, um Künstler zu buchen, Ausstellungen zu organisieren und Bücher zu drucken, wenn danach das Establishment einziehen soll?

Eine mögliche Erklärung findet sich auf der Website der Schlossturm GmbH. Dort wird die „Premise Group“ als „begleitende Agentur“ ausgewiesen. Die Premise Group ist ein Unternehmen für Immobilienmarketing, das es sich zum Ziel gemacht hat, „die Werte der Immobilienportfolios und Dienstleistungen unserer Kunden nachhaltig zu steigern“. Wie das funktioniert wird auf der Firmenwebsite unter dem malerischen Titel „Die Abschöpfung höherer Mietpreise — Gewinnpotentiale durch Schaffung eines Preispremiums“ ebenfalls beschrieben: „Im Kern ist es dazu notwendig, bei den Kunden eine möglichst dauerhafte PreisPremiumAkzeptanz (PPA) zu schaffen und so den Negativkreislauf immer neuer Rabattierungen und Nachlässe auf die geforderten Mietpreise zu durchbrechen. Dazu bedarf es, nach der Identifikation so genannter Werttreiber, vor allem einer konsequenten und vernünftig ausgerichteten „Implementierung der immobilienwertsteigernden Faktoren.“ Und auf einmal ergibt der Zusammenhang von Street Art und Business doch Sinn. Kunst am Bau als immobilienwertsteigernder Faktor. Wenn man sich mit Larissa Laternser trifft, wird man leider enttäuscht. Sie will weder das Klischee der unbedarften
Millionen-Erbin noch das des händereibenden Investors erfüllen, das die Recherche in den Hintergrund der „Turmkunst 2010“ nahelegt. Ganz im
Gegenteil: Sie ist eloquent, attraktiv und ur-sympathisch. Und vor allem ist sie überzeugt. Sie scheint beseelt von der Vision, den Bierpinsel neu zu erfinden und sieht Street Art als das beste Mittel zu diesem Zweck. Den Vorwurf, Street Art für PR-Zwecke zu instrumentalisieren, kann sie nicht nachvollziehen und bietet stattdessen völlig andere Interpretationen all der suspekten Details, die der Aktion anhaften. Ohne die Gründung der Schlossturm GmbH sei das Projekt nicht realisierbar gewesen, da die Behörden und Versicherer es nur einem Unternehmen erlauben würden, das Wahrzeichen Bierpinsel so spektakulär umzugestalten. Die Kunstaktion geht nach drei Monaten in den kommerziellen Betrieb über, da eine andere Nutzung einfach nicht zu bezahlen sei. Und Udo Walz sei schlicht ein Freund der Familie, dessen Engagement aus einem Witz heraus entstanden ist. Man möchte ihr glauben. Sie investiert offensichtlich nicht nur viel Zeit und viel Geld, sondern auch viel Herzblut in das Projekt Turmkunst, das zwei Jahre lang vorbereitet wurde. Und ohne Larissa Laternser und ihr Kapital würde der Bierpinsel heute sicher keine Kunst zeigen, sondern dasselbe verblichene Rostrot der letzten 34 Jahre. Larissa Laternser ist nicht Montgomery Burns; das wäre auch zu einfach. Die Dinge sind komplexer. Ob sie deshalb aber auch besser sind ist eine Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt.

Steglitz ist nicht der Reuterkiez und auch wenn das Wort ist in diesen Zusammenhängen immer leicht über die Lippen geht, wäre es albern in einem Bezirk von Gentrifizierung zu sprechen, der unter anderem berlinweit die geringste Arbeitslosenquote hat. Unser Wirtschaftssystem basiert auf dem Wort Wertschöpfung und wer diese Realität bemängeln möchte, sollte nicht bei Larissa Laternser und ihrer Schlossturm GmbH anfangen. Das Problem liegt eher in der Bedeutung der fachchinesischen Formel „Implementierung von immobilienwertsteigernden Faktoren“. Keine 10 Jahre nachdem die ersten Sticker an den Ampeln und Laternen Berlins auftauchten und Namen wie „Banksy“ oder „Obey“ zu Haushaltsbegriffen wurden, werden wir Zeuge, wie eine einstmals subversive Subkultur assimiliert wird. Investoren geben nun im großen Stil Geld aus, um die öffentliche Strahlkraft, die Street Art mittlerweile erreicht hat, für sich zu nutzen. Das Turmkunst Projekt ist ein Bilderbuchbeispiel für das, was Christian Schmidt in seinem Aufsatz „Street Art – Zeichen der Zeit“ benennt: „Street Artists unterstützen damit, wenn auch meist unbewusst, genau jenen kapitalistischen Funktionalismus innerhalb des urbanen Raums und seiner Politik, gegen den sie sich mit ihren ästhetischen Eingriffen vielfach wenden. Symbolischer Widerstand und alltagspolitische Kritik wird letztlich integriert und affirmiert die bestehenden Machtstrukturen innerhalb der Stadt.“ Was hier entsteht ist ein Paradox: In einigen Monaten werden Unternehmen in einem Gebäude tagen, weil es mit einer Kunstform geschmückt ist, deren ursprüngliche Funktion es war, gegen das Verhalten eben jener Unternehmen zu protestieren. Kann man den Künstlern einen Vorwurf machen, dass sie sich und ihre Kunstrichtung dem Ausverkauf preisgeben? Und kann man Larissa Laternser einen Vorwurf machen, dass sie die Künstler und ihre Kunstrichtung einkauft?

Beides ist schwierig. Flying Förtress unterhält einen gut bestückten Online-Store. Sozyone gestaltete Fassaden und Werbeanzeigen für Carhartt und ließ sich von Thalys 10.000 Euro dafür geben, einen ihrer Schnellzüge anzumalen. Und auch Honet hat bereits für die Modelabels Adidas, Sixpack und Prada gearbeitet. Alle drei kann man ruhig als Sellouts beschimpfen, aber wer das tut, hat nicht verstanden, dass jeder Künstler von seiner Kunst leben will und früher oder später diesen Weg auch gehen wird, wenn er sich ihm bietet. Larissa Laternser hat nie eine schweißgebadeteNacht mit einem Rucksack voller Dosen verbracht. Sie weiß nichts von dem Bedürfnis nach Widerspruch, das einem Sprayer den Mut gibt, fremde Wände anzumalen. Wie soll sie wissen, dass was für sie bloß ästhetisch ist, anderen heilig sein kann? Vielleicht instrumentalisiert sie Street Art ganz bewusst, so wie es die Premise Group suggeriert, vielleicht mag sie einfach Kunst, so wie sie es im persönlichen Gespräch glaubhaft versichert.

Ob sie sich ihrer Rolle im gesellschaftlichen Assimilierungsprozess der Street Art bewusst ist, ist so schwer einzuschätzen, wie es unwichtig ist. Wichtig
ist, dass dieser Prozess stattfindet und zwar mit rapider Geschwindigkeit. Was früher im Schutz der Nacht passierte, wird heute von einem „Nachbarschaftsfest“ begleitet, was bisher verurteilt wurde, erhält nun unterstützende Worte von Klaus Wowereit, was vorhee illegal und anonym war, hat nun Schirmherren und Pressesprecher. Bis zum 15. Mai kann man diesen Prozess sogar live erleben. Street Art ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, besser gesagt in der Mitte von Steglitz.

Wer bei dieser Geschichte Lamm ist, und wer Löwe, muss jeder für sich entscheiden. Letztendlich zählt nur, dass es beide Seiten gibt, und dass sie ganz sicher nicht in einträchtiger Harmonie gemeinsam auf derselben Weide grasen. Aber dieses Phänomen ist ein Automatismus, von dem bisher jede Subkultur, ob nun subversiv oder nicht, ereilt wurde. Sei es Baseball, HipHop, oder nun Street Art: Unser Wirtschaftssystem lebt von der Ausbeutung und Assimilation der Märkte. Wenn Street Art dieses System weiter kritisieren und diskutieren will, muss sie sich neu erfinden. Und das am besten jeden Tag.