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95 Prozent der Täter sind männlich

Ein kurzes Interview des General Anzeigers, mit dem Bonner Kriminaloberkommissar Thomas Wiesen



General-Anzeigr: Woran liegt es, dass sich die Zahl der Graffiti-Delikte im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hat?

Thomas Wiesen: Mich hat der Anstieg auch überrascht, gerade weil sich die Szene verändert hat. Viele Intensivtäter gibt es nicht mehr. Der eine sitzt im Gefängnis, viele andere sind weggezogen. Anhand der Zahlen sehen wir aber, dass ein Nachwuchs heranwächst. Bei den Delikten geht es allerdings nur um Schmierereien und nicht um die vermeintliche Kunstrichtung, die einmal angedacht war.

GA: Warum ist es so schwer, die Täter dingfest zu machen?

Wiesen: Vieles hat sich verändert. Bilder gibt es kaum noch. Heute geht es nahezu ausschließlich darum, Zeichen, so genannte Tags, zu hinterlassen. Das geht sehr schnell, ist eine Sache von Sekunden. Die Verdächtigen führen nur noch einzelne Farbdosen oder Stifte mit. Dadurch ist das Entdeckungsrisiko sehr gering. Eine Akademikerszene wie sie es vor noch fünf oder sieben Jahren gab, existiert nicht mehr. Statt dessen wachsen Täter aus anderen sozialen Schichten langsam nach. Heute lernt die Szene im Internet, verabredet sich dort. Was eben noch besprüht wurde, findet sich vielfach kurze Zeit später auf Fotos im Internet wieder. Es sind nicht mehr nur lokale Spuren und Tatverdächtige, die für uns greifbar wären. Hinzu kommt, dass die Täter dazugelernt haben, sie wissen, wie und wann man ihnen etwas nachweisen kann und wann nicht.

GA: Welche Strategie verfolgt die Bonner Polizei?

Wiesen: Wir werten die einzelnen Taten aus, gehen Hinweisen nach, stellen Tatzusammenhänge her und geben diese Informationen zu möglichen Tatverdächtigen an unsere Zivilfahnder und Kollegen des Wachdienstes weiter. Uns ist es wichtig, die Täter auf frischer Tat mit der Sprühdose vor der Wand zu erwischen.

GA: Was ja wohl schwierig ist...

Wiesen: Ja, die Nachweisführung ist schwer und wir können nicht überall zur gleichen Zeit sein.

GA: Also sind Ihnen die Hände gebunden?

Wiesen: Nein. Wichtig bei der Bekämpfung ist ein Schulterschluss mit anderen Behörden und Institutionen. Wir müssen noch mehr in die Prävention gehen. In München etwa hat man mit Prävention viel erreicht. Wir sind in Gesprächen mit der Stadt. Anfang Juli steht das Thema auch auf der Tagesordnung beim kriminalpräventiven Rat. Da ist die Stadt drin, die Polizei, die Gewerkschaft, die Kirchen. Klar ist: Wir, die Polizei, werden das nicht alleine mit repressiven Mitteln lösen können. Um das Problem anzugehen, müssen die Aktionen auf breite Füße gestellt werden.

GA: Sind die Strafen zu milde? Immerhin handelt es sich bei den meisten Sprayern um Wiederholungstäter.

Wiesen: Wie das geahndet wird, ist Sache der Justiz. In der Regel handelt es sich um Sachbeschädigung. Je nach Alter greift das Jugendstrafrecht. Dort kommen Sozialstunden, Geldstrafen und Jugendarreste in Betracht. Die zeigen allerdings nicht immer die gewünschte Wirkung. Was richtig schmerzt sind die zivilrechtlichen Regressforderungen, die auf die Sprayer zukommen. Da sind schnell einige tausend Euro beisammen, die können auch Jahre später noch eingefordert werden.

GA: Sie sprechen bei den Tätern immer von “Jungs”.

Wiesen: Ja. Laut Statistiken sind 95 Prozent der Täter männlich. Ich glaube allerdings, 99 Prozent trifft es besser. Die Sprayer-Szene ist eine reine Macho-Szene und die ist überschaubar. Ich schätze, die ganz hartnäckige Szene hier in Bonn besteht so aus zehn Leuten, dazu noch eine größere Anzahl an Gelegenheitssprayern. Das Einstiegsalter ist ungefähr 14. Das geht aber mittlerweile hoch bis ungefähr 25 Jahre, und wenn keine Beschäftigung da ist, geht das auch noch länger. Warum sollten die auch aufhören? Die haben sich einen Ruf erarbeitet, sind bekannt in der Szene.

GA: Was wünschen Sie sich von den Bürgern?

Wiesen: Gerade bei Graffiti, die überwiegend nachts gesprayt werden, sind wir auch auf die Bürger angewiesen. Deren Hinweise sind wertvoll und führen oftmals zu Festnahmen auf frischer Tat. Daher sollte der Bürger keine Scheu haben, die 110 zu wählen.

GA: Tun sie das denn nicht?

Wiesen: Die Anrufe und Hinweise sind in letzter Zeit leider etwas zurückgegangen, denn die Menschen glauben, ihr Anruf nützt sowieso nichts. Das stimmt aber nicht. Wir haben auf Grund von eigenen Ermittlungen und rechtzeitigen Anrufen von Anwohnern in den vergangenen Wochen auch einige Sprayer bei der Tatausführung festgenommen.

GA: Helfen gegen Schmierereien legale Flächen, an denen sich die Jugendlichen ausleben können?

Wiesen: Nach meiner Einschätzung definitiv nicht. Es gibt Erhebungen darüber, dass dort, wo legale Flächen aufgemacht wurden, die Kriminalität durch Sprayer im Umfeld gestiegen ist. An diesen “Hall of Fames” treffen die Neuen auf die alten Hasen. Da passiert genau das, was wir verhindern wollen. Da werden Kontakte geknüpft, neue Gruppen bilden sich.

Quelle: general-anzeiger-bonn.de
Foto: Streetfiles.org