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R.I.P. Mixtape

Aus, Schluss, vorbei – in Niedersachsen macht eines der letzten Kopierwerke für MusiCassetten dicht. Die Kassette stirbt als Medium nach und nach aus – und mit ihr das gute alte Mixtape.

Kassetten vor dem Aus – Ode an das Mixtape
von Volker Probst (NTV)

Ich glaube, ich wandere aus. Nach Indien vielleicht. Hier gibt es für Kassetten noch einen Riesenmarkt. Und es gibt bestimmt Millionen Inderinnen, die man mit einem Mixtape glücklich machen könnte. Sollen doch die ganzen anderen wohlstandsgestörten Europäer dort auf spirituelle Sinnsuche gehen. Ich mache mich auf die Suche nach der perfekten Zusammenstellung für eine C90. Ommmhhh!

Sie halten das für abwegig? Keineswegs! Die gute alte “Compact Cassette” (CC) stirbt aus. Zumindest hierzulande. Am 1. Juli schloss der Tonträger-Hersteller Pallas eines der letzten großen Kopierwerke für bespielte MusiCassetten (MC) im niedersächsischen Diepholz. Ein Tod auf Raten. Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg gehen vor. Abspielgeräte und Leerkassetten werden folgen. “Ein Retro-Trend wie beim Vinyl ist für die MC nicht zu erwarten”, verkündet Pallas-Geschäftsführer Holger Neumann die bittere Wahrheit. Über kurz oder lang wird es Kassetten wohl nur noch in weniger digital verseuchten Ländern geben. Indien zum Beispiel. Also nix wie hin.

Die Kunst des Mixtapes

Jetzt sagen Sie nicht, Sie haben die Mixtape-Kunst schon verlernt. Jawohl, Kunst! Denn nur komplette Einfaltspinsel könnten auf die Idee kommen, da wahllos Songs draufzuklatschen.

Ein gutes Mixtape ist wie ein Gemälde. Da kommt es auf genaue Linienführung an. Auf gelungene Übergänge. Auf das Spiel mit Licht und Schatten – den Wechsel zwischen Emotion und Impulsivität.

Der professionelle Mixtaper benutzt eine C90 mit zweimal 45 Minuten Spieldauer als Leinwand. C60-Kassetten sind was für Anfänger und Malkastenbesitzer, die nicht wissen, wie sie eine C90 füllen sollen. C120-Benutzer dagegen sind Poser, die auf Quantität statt Qualität setzen.

Gitarr-Öl oder Elektro-Aquarell

Wer möchte, nimmt wummernde Kreide für vorn und sanfte Zeichenstifte für hinten. Oder malt die A-Seite in Gitarren-Öl und die B-Seite in Elektro-Aquarell. Künstlerisch wertvoller ist es jedoch, Tempo und Stile über die ganze Spieldauer hinweg zu vermengen. Im richtigen Mischungsverhältnis, versteht sich. Und selbstverständlich ohne Brüche – es sei denn, sie sind bewusst gewollt.

Die Königsdisziplin sind die Seitenenden. Nur Stümper schneiden Lieder einfach ab. Bei den Picassos der Mixtaper erklingt der letzte Ton eines Songs genau dann, wenn das satte Braun des Magnetbands vom milchigen Endstreifen der Kassette abgelöst wird.

Gut gemachte Mixtapes sagen genauso viel wie ein Brief. Zusammen mit der richtigen Verpackung können sie die perfekte Liebeserklärung sein. Und deshalb kriegen gute Mixtaper auch so ziemlich jede Frau rum. Kein Wunder, dass hierzulande Single-Börsen und Partnervermittlungen boomen. Hätten die ganzen einsamen Herzen doch nur noch einen Kassettenrekorder zu Hause. Friendscout, Elitepartner & Co stünden vor dem Ruin.

Mit Klebstreifen und Schere

Wer murmelt da jetzt etwas von “Mix-CDs” und “MP3-Listen”? Das können ja nur die Ed Hardys der Musikliebhaber sein. Die liebevolle Umverpackung für Ihren USB-Stick möchte ich sehen! Sie wissen ja gar nicht, wie dankbar Frauenaugen gucken können, wenn Sie den Bandsalat ihrer Lieblingskassette aus dem Tapedeck gepult und irgendwie wieder zusammengeflickt haben. Wer noch nie ein Tape mit Schere und Tesa gerettet hat, hat nicht gelebt. Schon mal versucht, eine CD mit Klebstreifen zu kitten? Nein? Eben.

Darum flugs den Koffer gepackt und auf nach Indien! Das wird allerdings ein langer Flug. Ach, egal! Schlafmaske auf, die Rückenlehne nach hinten und den iPod in die Ohren. Ich freue mich schon drauf, durch meine Musik zu shuffeln

<a href=http://clbt.bandcamp.com/album/the-cyndi-lauper-beat-tape>SoundsLike fun by 100 Akres</a>