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Über springende Milchkühe und hochgelobte Koryphäen

Matthias von Castor & Pollux schreibt einige wahre und kritische Worte zum Thema UrbanArt und Streetart in seinem neuesten Post “Warum ich hier nicht mehr über UrbanArt schreibe, aber trotzdem zur Stroke03 gehe”…nach dem Jump

Warum ich hier nicht mehr über UrbanArt schreibe, aber trotzdem zur Stroke03 gehe

Weil seit längerer Zeit alle Beispiele für UrbanArt, die mir unter die Augen kommen, es nicht wert sind, so genannt zu werden. Weil diese Beispiele Schund, vielleicht noch Kunsthandwerk darstellen. Weil UrbanArt oder das, was ich davon erlebe, tot ist. Weil sich das bedeutsame Wörtchen „Art“ in „UrbanArt“ vielleicht – scheinbar, hoffentlich!  – zurückgezogen, neue Räume erobert hat.

Hard Cut.

Der letzte Artikel über UrbanArt ist nun schon mehr als ein halbes Jahr alt, insgesamt wurde hier nur zwölf Mal zu diesem Thema geschrieben. Startete ich dieses Blog im Januar 2009 noch unter einem Titel, der Bezug auf Urban‑ und Contemporary Art nahm, müsste es nun schon seit einiger Zeit einfach „Pollux“ oder – als stumme Erinnerung an vergangene Zeiten – „ & Pollux“ heißen. Allerdings habe ich nicht etwa das Interesse an UrbanArt verloren, ganz im Gegenteil: Es gab nur nichts zu schreiben.

Es handelt sich um ein echtes Massenphänomen: StreetArt hat bereits in seiner Geburtsstunde den Bitterfelder Weg eingeschlagen und ist nun in der Sackgasse der Deprofessionalisierung angelangt. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Qualität der gesprühten, geklebten, installierten oder anderweitig auf die Straße bzw. in die Galerien gebrachten Werke ist seit Jahren unterirdisch. (Wie ich erst spät einsah, war dies schon der Fall, lange bevor dieses Blog an den Start ging.) Wenn ich über die Straßen Berlins spaziere, über die Hinterhöfe und brachen Flächen gehe und an den Orten vorbeikomme, wo Leerstand und Verfall StreetArtists förmlich einladen, dann sehe ich da nicht etwa UrbanArt, wie es meinen Begrifflichkeiten entspricht, sondern hohlen Schund, der zwar manchmal ästhetischen Ansprüchen genügen mag oder eine gewisse handwerkliche Leistung bezeugt, doch aber immer noch substanzlosen Mist darstellt.

Ich kann nichts finden an einer springenden Milchkuh, kann mich nicht ereifern über das omnipräsente Grinsen von Mein lieber Prost, der in einem fragwürdigen Interview dümmlichen Larifari herausprotzt. Ich kann mich auch nicht dafür begeistern, wenn hochgelobte Koryphäen der Szene wie Alias, Nomad oder Xooox der Sinnlosigkeit und Willkür frönen und dafür offensichtlich als Vorbild für viele unter denjenigen gelten, die weniger bekannt sind.

Man entgegnet mir:

Mit der Kunst ist es doch dasselbe: Nicht jeder, der sich Künstler nennt, hat auch was drauf. Wer hohe, „wertvolle“ Kunst sehen will, der muss die Galerien und Museen besuchen. In der StreetArt ist das nicht anders! Geh in die ATM Gallery oder ins Neurotitian, da findest du die hohe, die „wertvolle“ UrbanArt!

Doch vor Ort kann ich nichts davon finden. Es scheint, als würden Galerien wie diese nur jenen StreetArtists einen Raum geben, die sich professionalisiert, die ein gewisses Renommee aufgebaut und sich – wenigstens durch ihre Präsenz in solchen Institutionen – von der Straße entfernt haben. Was in diesen Galerien ausgestellt wird, ist nicht StreetArt; es kann womöglich UrbanArt genannt werden (das ist wohl eine stilistische Frage). Andere euphemisieren es als „New Contemporary Art“, ein Begriff, der scheinbar nur in diesem Umfeld benutzt wird. Die „Neue zeitgenössische Kunst“?

Zeitgenössisch, ja. Kunst, nein. Aber gar „Neue zeitgenössische Kunst“? Mitnichten.

Doch was fehlt mir eigentlich an dieser sogenannten StreetArt? Es geht mir nicht um Definitionspedanterie – was ich vermisse, ist Gehalt. Ein Fußballerhähnchen oder eine pummelige Pimmelfigur mögen ein kurzes Lächeln hervorlocken, doch mehr kann man nicht erwarten. Es liegt kein Sinn in den Bildern, die ich Tag für Tag auf den Straßen Berlins sehe. Selbst die wenigen, die mehr wollen und die immer wieder durchgekauten Probleme unserer Stadt und unserer Gesellschaft adressieren, geben sich mit einer bloßen Floskel oder einem diskreten Gedankenspiel zufrieden. Da ist kein Tiefgang. Diese sog. StreetArt ist flach und naiv.

Ich erinnere mich, vor einem halben Jahr, als ich tief enttäuscht war von dem, was UrbanArt in Berlin und Deutschland bedeutete, bei arte eine Reportage über StreetArt gesehen zu haben. Dort wurden Princess Hijabs Ad-Busting-Aktionen gezeigt, aber auch ein StreetArtist vorgestellt, der nachts mit Pfeil und Bogen durch die Straßen zog und Jagd auf Häuser machte, die der Gentrifizierung zum Opfer gefallen waren. In dieser Sendung wurde auch die wachsende Mode angesprochen, dass Leute durch die Stadt gehen, Arbeiten von den Wänden abnehmen und in Sammlermanier daheim ausstellen.

Als ich diese Dokumentation sah, ging mir das Herz auf. UrbanArt schien noch nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit ersoffen zu sein. Es gab sie noch, die StreetArtists, die etwas aussagen wollten und dabei nicht auf ausgelutschte Platitüden zurückgriffen. Doch warum sah ich davon nichts, wenn ich in Berlin unterwegs war? Wo hielten sich diese letzten Künstler ihrer Art auf? Wo konnte man ihnen nah sein?

Es waren jedenfalls nicht die Straßen Friedrichshains, Kreuzbergs oder Neuköllns, es waren auch nicht die UrbanArt-Galerien dieser Stadt. Noch immer suche ich nach ihnen und bin noch nicht findig geworden.

Eine erfreuliche Entwicklung ist jedoch, dass Blogs wie rebel:art des ambitionierten und für seine Arbeit von mir geschätzten Alain aus Hamburg dieser Banalisierung entgegenwirken und es schaffen, aus dem großen Haufen Mist, der uns Tag für Tag zu verschütten droht, die wenigen Perlen herauspicken, die ich gar nicht mehr aus eigener Kraft aufzustöbern vermag.

Die Hoffnung ist also noch nicht verloren. Doch eines erscheint mir glasklar: Die StreetArt-Szene, so denn man von einer solchen sprechen kann, hat ihr Schicksal selbst in der Hand. Will sie weiter ihren Kurs in die Banalität beibehalten oder einen Ausweg aus diesem Dilemma finden? Für welchen Weg werden sich StreetArtists und Galeristen entscheiden?

Dieser Frage will ich auf der diesjährigen STROKE.03 nachgehen. Die „weltweit erste Messe für Urban Art und New Contemporary Art“ zieht an die Spree und gastiert vom 7. bis 10. Oktober am Gleisdreieck. Ich habe mir die Website angeschaut und die Presseinformationen studiert (PDF) und bin skeptisch, ob diese Großveranstaltung neue Impulse setzen kann.

Wenn der zweite Absatz der Pressemeldung klar stellen will, dass die Veranstalter nicht in Konkurrenz zu den etablierten Kunstmessen treten wollen, und zehn Blogger eingeladen werden, sich für die Messe künstlerisch auszutoben, dann muss man doch die Ernsthaftigkeit dieser Veranstaltung infrage stellen. Wenn UrbanArt nicht den Anspruch hat, der etablierten Kunst gleichwertig sein zu wollen, und eine Messe wie die STROKE.03 auf hohle PR-Gags zurückgreifen muss, habe ich ernste Zweifel, ob die (kuratierte) Szene den Ausweg aus dem Jammertal tatsächlich finden wird.

All diese Fragen sind nicht neu. Weder mir, noch dem Internet oder all jenen, die sich genauso viel oder mehr als ich mit UrbanArt auseinander setzen. Man hätte sie schon vor Jahren stellen können, lange bevor es dieses Blog überhaupt gab. UrbanArt liegt mir jedoch am Herzen, lange habe ich diesen Artikel schreiben wollen. Jetzt ist jedoch die Gelegenheit gekommen, vielleicht eine Antwort zu finden.

Kommenden Mittwoch werde ich mir selbst ein Bild davon machen und vielleicht auch ein vorläufiges Urteil fällen. Wir werden sehen.

Direktlink, Castor & Pollux /via