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BVG fordert Grundsatzurteil

Erst letztes Jahr waren viele der Meinung dass die BVG mit der erweiterten Hausordnung über ihr Ziel hinaus schießt. Eine Verbotsliste der Berliner Verkehrsbetriebe soll in U-Bahnhöfen für Ordnung und Sicherheit sorgen. Abfalleimer dürfen nicht mehr durchsucht werden und auch Herumstehen, ohne in einen Zug einzusteigen, ist untersagt. Jetzt geht es um ein weiteres Grundsatzurteil welches. wenn es nach der BVG geht, bald in Kraft treten soll. Anlass ist die aktuelle Kontroverse mit den beiden Filmemachern von Unlike U. Nicht ganz uninteressant für Spotter und alle die Buntmetall in der Haupstadt fotografieren. Den Artikel dazu gibts nach dem Jump

Du darfst dir kein Bild mehr machen

Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen Grundsatzurteil gegen einen Sprayer-Film

Vermummte Gestalten schleichen durch einen U-Bahn-Tunnel, erreichen den dort abgestellten Zug und verteilen sich blitzschnell auf dessen gesamte Länge. Sie öffnen ihre Rucksäcke, holen Sprühdosen heraus und legen erst die Grundierung, silbern oder schwarz, auf die dann Buchstaben oder Gesichter oder Landschaften aufgelegt werden. Dann packen sie wieder ein, fotografieren ihr Werk. Und verschwinden in der Nacht des Tunnels.

Unlike U“, eine anderthalbstündige Dokumentation von Henrik Regel und Björn Birg, dokumentiert die Szene der Berliner Zugsprüher oder “Trainwriter”, wie sie sich nennen. Der Film wurde im Februar uraufgeführt, ging auf Tournee durch Kinos in Deutschland und seinen Nachbarn. Heute will ihn die BVG, Betreiberfirma der Berliner U-Bahn, vor der Urheberkammer des Landgerichts der Hauptstadt verbieten lassen.

Die offizielle Begründung klingt hoch juristisch und hat mit den eigentlichen Gründen – die man nur vermuten kann, weil die BVG keine Stellungnahmen abgibt – wahrscheinlich nichts zu tun. Die BVG argumentiert, die Bilder von im Film gezeigten Zügen seien ohne Drehgenehmigung auf dem Grund und Boden der Verkehrsbetriebe entstanden.

Das ist zunächst nicht von der Hand zu weisen (obwohl die BVG im Liegenschaftskataster anscheinend gar nicht als Eigentümerin ihrer Strecken eingetragen ist). Ihre Juristen beziehen sich offenbar auf das “Sanssouci”-Urteil des Bundesgerichtshofs vom vorigen Dezember, das es professionellen Fotografen und Filmern verbot, ohne Genehmigung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Aufnahmen in deren Anlagen machen. Schließlich erziele die Stiftung einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen mit genau solchen Aufnahmen, die sie selbst vermarkte. Die BVG-Juristen versuchen nun, dieses Hausrechtsurteil für ihre Zwecke auszunutzen. Und vergessen gern den Grund für die Entscheidung: das Eigeninteresse an kommerzieller Auswertung. Mit großer Wahrscheinlichkeit sitzen keine BVG-Filmemacher mit eigenen Werken über die Sprayerszene in den Schneideräumen.

Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Die Verkehrsbetriebe versuchen, nach dem Null-Aufmerksamkeits-Prinzip das Phänomen durch mediales Totschweigen zu ersticken oder zumindest nicht zu vergrößern. “Unlike U” ist ein Ärgernis, weil der Film sich nicht mit Schadensstatistiken der BVG beschäftigt, sondern mit der Faszination des Sprühens.

Seine Hauptfiguren sind die Größen jener Szene, die Regel und Birg außergewöhnlichen Zugang gewährt hat, bis hin zu ihren selbstgefilmten Videos von Sprühaktionen, wilden Fluchten und Festnahmen. Der Film vermittelt ein Lebensgefühl, verherrlicht es aber nicht. Es geht um den Verlust des Freundeskreises, die allgegenwärtige Gefahr der Verhaftung, den Tod auf den Schienen.

Die 16. Kammer des Landgerichts soll heute ein Urteil fällen, das über die Sprüherszene hinaus wirken kann. Die BVG will nichts anderes als ein uneingeschränktes Recht für Eigentümer, jede Aufnahme auf ihrem Grund zu untersagen – auch wenn das Objekt zum weithin sichtbaren Stadt- oder Landschaftsbild gehört. Die Verbreitung von “Unlike U” würde damit nicht behindert werden. Der Film wurde weltweit schon über 500 000 Mal aus dem Netz geladen.

Autor: Autor: Hanns-Georg Rodek / Welt Online