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RECHTSLAGE – Beschlüsse & Urteile

Drei interessante Beschlüsse und zwei rechtskräftige Urteile aus Düsseldorf, Plettenberg, Mainz, Stralsund und Soest begründen warum stets Nachahmer in Betracht gezogen werden müssen, die Blutproben- und DNA-Entnahme bei der Graffiti Ermittlung rechtswidrig ist, Graffitis auf U-Bahnwagen keine gemeinschädliche Sachbeschädigung sind und der Besitz von Skizzen oder Fotos lediglich zeigt dass der Verdächtige ein Interesse an Graffiti oder bestimmten Sprayern hat und bei leichter Entfernung keine Strafbarkeit besteht.

Es müssen stets Nachahmer in Betracht gezogen werden

AG Plettenberg, Beschluss vom 17.2.2011

Leitsatz: In der Graffiti-Szene sind Nachahmer vorhandener Tags bekannt.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.

Die Staatsanwaltschaft Hagen wirft den Angeschuldigten in der Anklageschrift vom xx.xx.2010 vor, in der Zeit vom xx.xx.2009 bis xx.xx.2009 in H. als Jugendliche mit Verantwortungsreife durch 12 selbständige Handlungen unbefugt das Erscheinungsbild fremder Sachen nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert zu haben. Sie sollen in dem genannten Tatzeitraum in insgesamt 12 Fällen u. a. Wohnhäuser, Geschäftsräume und Bushaltestellen mit Graffitis besprüht haben.

Beide Angeschuldigte haben sich zu den ihnen gegenüber erhobenen Vorwürfe nicht geäußert und bislang von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Unmittelbare Tatzeugen sind – bis auf die Tat vom xx.xx.2009 – nicht vorhanden. Lediglich der Zeuge X. hat in seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, die bei den verschiedenen Taten gesprühten Schriftzüge und Symbole seien den beiden Angeschuldigten zuzuordnen. Auch wurden bei Durchsuchungen in den Wohnung der beiden Angeschuldigten belastende Materialien entdeckt und sichergestellt, wie z. B. Blackbooks mit entsprechenden Skizzen und auch den bei den einzelnen Taten vorgefundenen Schriftzügen und Symbolen, Spraydosen und Sprühköpfen.

Der Verteidiger des Angeschuldigten Y. hat jedoch umfangreich ausgeführt, dass es in der Sprayer-Szene durchaus üblich sei, auch Schriftzüge anderer Sprayer bzw. auch Schriftzüge aus weitergegebenen und ausgetauschten Skizzenbüchern und sonstigen Materialien nachzuahmen, zu kopieren und weiterzuverbreiten. Vor dem Hintergrund dieser, auch für das Gericht nachvollziehbaren Ausführungen und dem Umstand, dass die beiden Angeklagten bei keiner der ihnen zur Last gelegten Taten unmittelbar beobachtet worden sind, wird man im Zweifel für die Angeklagten davon ausgehen müssen, dass bei den bezeichneten Taten ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese durch unbekannt gebliebene Dritte verübt wurden.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass einige erhebliche Anhaltspunkte für eine Täterschaft der beiden Angeschuldigten zumindest in dem einen oder anderen Fall sprechen. Für eine eventuelle Verurteilung wäre aber ein sicherer Nachweis der Täterschaft erforderlich, der nach Aktenlage zur Zeit nicht zu fOhren sein wird.

AG Plettenberg, Beschluss vom 17.2.2011

DNA-Entnahme für künftige Strafverfahren bei Graffiti rechtswidrig

AG Stralsund, Beschluss v. 4.4.2011

Leitsatz: Graffiti sind keine Straftaten, die eine “vorsorgliche” DNA-Entnahme rechtfertigen.

Die Anträge der Staatsanwaltschaft vom xx.xx.2010 auf Blutprobenentnahme und DNA-Entnahme werden abgelehnt.

[…]

Darüber hinaus ist auch die DNA-Entnahme für zukünftige Strafverfahren gemäß § 81 g StPO nicht verhältnismäßig. Denn durch die Staatsanwaltschaft ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass weitere erhebliche Straftaten von den nicht vorbelasteten Beschuldigten zu erwarten sind. Allein der hier im Ermittlungsverfahren in Frage stehende Schaden genügt nicht für eine DNA-Entnahme gemäß § 81 g StPO. Hierbei muss es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung handeln. Dazu zählen alle Verbrechen, aber auch schwerwiegende Vergehen, bei denen der Täter Körperzellen absondern könnte. § 303 StGB scheidet mit seinem Strafrahmen bis zu 2 Jahren bzw. Geldstrafe aus.

AG Stralsund, Beschluss v. 4.4.2011


Graffitis auf U-Bahnwagen sind keine gemeinschädliche Sachbeschädigung

OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.12.2010

Leitsatz: Graffitis auf U-Bahnen beeinträchtigen nicht den öffentlichen Zweck der Sache.

Auf die Revision des Angeklagten X. wird das Urteil des Jugendrichters beim Amtsgericht Düsseldorf vom xx.xx.2010, auch soweit es den Angeklagten Y. betrifft, aufgehoben.

Nach den Feststellungen besprühte X. am xx. und xx.xx.2009 jeweils einen U-Bahnwagen der hiesigen xx AG mit Graffitis oder schwarzer Sprayfarbe.

Nach § 304 StGB macht sich, soweit hier von Interesse, wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung strafbar, wer Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen dienen, rechtswidrig beschädigt oder zerstört (Abs. 1) oder unbefugt in ihrem Erscheinungsbild nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert (Abs. 2). In beiden Fällen ist der Tatbestand nach einhelliger Meinung aber nur erfüllt, wenn die Tat die besondere Zweckbestimmung der Sache – die öffentliche Funktion, um derentwillen sie geschützt ist – beeinträchtigt. Das ist nicht festgestellt und versteht sich nicht von selbst. Im Zweifel konnten die Wagen (der Waggon) weiterhin zur Beförderung benutzt werden.

OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.12.2010

Fotos und Skizzen dokumentieren Interesse und keinen Täterschaft

AG Soest, Beschluss vom 1.7.2010

Leitsatz: Der Besitz von Skizzen und Fotos zeigt lediglich ein Interesse an Graffiti bzw. bestimmten Sprayern.

Dem Angeschuldigten wird mit der Anklageschrift vom xx.xx.2009 vorgeworfen, in der Zeit vom xx.xx. bis zum xx.xx.2009 in in S. eine Vielzahl von Wänden mit den Schriftzügen “XXX”, “YYY”, “ZZZ-Crew” und anderem besprüht zu haben. Einen hinreichenden Tatverdacht vermochte das Gericht beim derzeitigen Ermittlungsstand nicht zu erkennen, da eine Verurteilung nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Vielmehr ist nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismögtichkeiten ein Freispruch nach dem Grundsatz in dubio pro reo wahrscheinlich.

Der Angeschuldigte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Ihm ist nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht nachzuweisen, dass er die ihm zur Last gelegten Taten selbst begangen hat. Unmittelbare Tatzeugen sind nicht vorhanden. Die in der Akte befindlichen Lichtbilder von Graffitis zeigen ihn auch bei keiner Tatausführung hinsichtlich der angeklagten Taten. Soweit auf BI. xx Bd. I d.A. ein Sprayer zu sehen ist, bei dem es sich um den Angeschuldigten handeln soll, fehlen Anhaltspunkte dafür, dass es sich, wie bereits von KHK T. vermutet, um keine erlaubte Sprayaktion handelt. Auch die im Rahmen der Durchsuchung der Wohnräume des Angeschuldigten sichergestellten Materialien, Skizzen und Vorlagenbücher mit Graffitis und Spraydosen lassen nicht zwingend darauf schließen, dass der Angeschuldigte Urheber der abgebildeten Graffitis ist.

Insoweit führt die Verteidigung zu Recht aus, dass der Angeschuldigte die auf dem PC der Mutter gespeicherten Fotos auch aus Interesse gespeichert haben kann, ggffs. auch um damit gegenüber anderen anzugeben, oder als Vorlage zum Entwurf eigener
Graffitis. Wegen der weiteren berechtigten Einwände wird auf den ausführlichen Schriftsatz des Verteidigers vom xx.xx.2010 Bezug genommen.

Nach alledem war die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen gem. § 204 Abs. 1 StPO abzulehnen.

AG Soest, Beschluss vom 1.7.2010

Bei leichter Entfernung keine Strafbarkeit

AG Mainz, Urteil v. 10.1.2011

Leitsatz: Wenn der Reinigungsaufwand minimal ist, ist das Anbringen eines Tags nicht strafbar.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Gründe:

[…]

Unabhängig hiervon war der Angeklagte in den Fällen 3 und 7 der Anklageschrift vom xx.xx.2010 auch deshalb freizusprechen, da in diesen Fällen bereits der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht erfüllt war. In beiden Fällen waren die Graffiti-Zeichnungen leicht abzuwischen und zu entfernen.

AG Mainz, Urteil v. 10.1.2011




Auszug aus unserem Interview mit Dr.Gau

Standardmaßnahmen bei der Erst-Festnahme sind oft eine Hausdurchsuchung, Fingerabdrücke und der Wunsch der Polizei nach einer DNA-Abgabe. Wenn man nun zuvorkommenderweise auch noch Fotos, Skizzen etc. zu Hause aufbewahrt, ist es klar, dass die Soko meint, man hätte auch all das gemalt. Wichtig sind hier drei Sachen:

– keine – gar keine ! – Aussage machen, auch keinen Smalltalk
– allem (Hausdurchsuchung, Sicherstellung, Auswertung auf dem Formular, auf dem man unterschreiben soll, DNA-Abgabe) WIDERSPRECHEN
– Sofort, spätestens am nächsten Tag, anrufen und zeigen, dass man nicht alleine da steht – Akteneinsicht nehmen

Wenn man das macht, ist noch alles möglich.

Quelle und mehr rechtskräftige Urteile und Beschlüsse hier auf graffitianwalt.de/urteile.php