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FRANKFURT – Cityghosts


“Die Geister blicken von Stromkästen, Mülleimern, U-Bahn-Tunneln und Schornsteinen. In den Orten findet sich eine Systematik wieder, der Geistermaler sucht nach Flächen, die der Stadt gehören. „Dabei fühl’ ich mich besser, als wenn ich das Privathaus von Tante Emma bemale“ Die Frankfurter Rundschau berichtet über den “Geistermaler” in einem Artikel vom 25.Mai 2012, jump

Gemalte Geisterstunde auf Frankfurter Bauten
(Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 25.Mai 2012)

Mehr als 3000 Gespenster hat er schon in Frankfurt gemalt. Einige sind längst wieder weg, aber der Geistermaler findet immer wieder neue Orte.

Er geht meistens nach dem gleichen Schema vor. Erst sucht er sich einen gut sichtbaren Ort, „an dem nicht so viel geputzt wird“. Oft sind das Schornsteine oder Wartungshäuschen, zu denen man über Baugerüste und Feuerwehr-Leitern gelangt. Dann überlegt er sich einen passenden Geist für die auserwählte Stelle, kauft Sprühdosen und klettert nachts mit einem Jutebeutel und fünf bis sechs Dosen ausgerüstet über Schutt und Stacheldraht hinweg in Frankfurts Höhen empor.

„Ich warte dann erst mal ab, sitze mit einem Bier auf dem Dach, rauche eine Zigarette und beobachte, ob alles ruhig bleibt.“ Einmal, als er mit einem Freund auf einer Baustelle wartet, entdeckt er einen Besoffenen, der versucht, Benzin aus den Baggern zu klauen.

Das eigentliche Sprayen dauert dann oft nur eine halbe Stunde. Die ständige Angst einer plötzlich erschallenden Polizei-Sirene ist immer dabei. Durch die Nervosität, die Dunkelheit und dadurch, dass er an den meisten Orten zum ersten Mal ist, kann immer wieder Unvorhergesehenes passieren.

Auf der Baustelle an der Steinweg-Passage in der Frankfurter Innenstadt hat er so „im Eifer des Gefechts vergessen, dem Geist das zweite Ohr anzumalen“. Einohr-Goldzahn hat er ihn später getauft. Aber gerade diese Spontaneität, die Tatsache, dass er vorher geschmiedete Pläne abrupt wieder verwerfen muss, reizt den Geistermaler.

Seit 1999 aktiv

1999 beginnt er, die bunten Gestalten über den Frankfurter Stadtraum zu verteilen. Irgendwann lädt ein User seine Bilder auf dem Fotoportal „flickr“ unter dem Namen „City Ghosts“ hoch, fortan haben die bunten Gestalten einen Namen. Inzwischen hat er über 3000 Geister gemalt, etwa die Hälfte ist wieder weggeputzt. In Harheim und Zeilsheim war der Geistermaler noch nicht, sonst in jedem Frankfurter Viertel.

Die Geister blicken von Stromkästen, Mülleimern, U-Bahn-Tunneln und Schornsteinen. In den Orten findet sich eine Systematik wieder, der Geistermaler sucht nach Flächen, die der Stadt gehören. „Dabei fühl’ ich mich besser, als wenn ich das Privathaus von Tante Emma bemale“.

Von den „0815-Graffti-Künstlern“, die Tags, kleine Schriftzüge, und Pieces, größere Bilder, malen, grenzt er sich ab. Die Graffiti-Szene, die hauptsächlich aus Männern zwischen 16 und 25 Jahren bestehe, sei von Konkurrenz und kapitalistischem Denken geprägt, davon, „wer wie viel wohin malt“. Zwar hat seine Leidenschaft für das Malen auch mit dem Graffiti Malen begonnen, nachdem er Anfang der 90er Jahre an der Hügelstraße ein Bild der Graffiti-Crew GBF gesehen habe. Aber diese Art des Markensetzens war ihm irgendwann zuwider.

Dem Geistermaler geht es darum, „den Leuten auf ihrem Weg zur Arbeit ein Lächeln abzugewinnen“. Und um die Botschaft, dass man sein eigenes Umfeld mitgestalten kann. „Sonst überlassen wir die sozialen Räume der Stadt irgendwelchen Investoren oder Stadtpolitikern, die es nicht drauf haben.“ Der Maler findet, dass seine Bilder die Stadt liebenswerter machen. 200 Euro gibt er monatlich für Farbe aus.

Strafrechtlich gesehen wird Graffiti als Sachbeschädigung verfolgt, die zur Freiheitsstrafe führen kann. Rund 500 Millionen Euro werden jährlich für die Entfernung unerlaubter Graffitis in Deutschland ausgegeben.

Noch nie erwischt

Die Polizei hat den Geistermaler noch nie erwischt, aber vor ein paar Wochen war es fast so weit, als er mit einem anderen Sprayer und einem Fotografen nachts in einem U-Bahn-Tunnel malte. „Plötzlich gingen alle Lichter an, die Polizei richtete Taschenlampen auf uns.“ Jeder flüchtet in eine andere Richtung, der Geistermaler auf ein Nebengleis. Er hört die Stimmen der Polizisten, fürchtet die Hand auf seiner Schulter…und entdeckt einen Schacht. Er hebt das Gitter empor, steigt in den zwei Meter tiefen, mit Wasser gefüllten Schacht und zieht das Gitter über seinen Kopf.

Bis zu den Knien kauert er im Wasser, hört, wie sich die Polizisten nähern und über seinen Kopf hinweglaufen. Von 4 Uhr nachts bis 8.20 Uhr kauert er im Schacht, spürt seine Fußzehen nicht mehr, verharrt. Die ersten Bahnen rollen über ihn. Gegen halb neun klettert er aus dem Schacht, rennt unterirdisch durch zwei U-Bahn-Stationen und flieht rechts entlang einer U-Bahn ins Freie. Links steht die Polizei.

Ja, er habe Angst, erwischt zu werden, sagt der Maler, und dass er sich mit steigendem Alter immer mehr der Gefahr bewusst werde. „Aber vorerst kann ich mein illegales Doppelleben nicht aufgeben. Ich fühle mich wie Batman und Joker in einer Person“, sagt er und lächelt.

Eine City Ghost-Ausstellung gibt es im Laden Canpire, Schulstraße 3, seit 2. Juni. Auch Geister-T-Shirts unter dem Label Stoff aus Frankfurt werden dort verkauft. Mehr unter www.cityghosts.de.

Fotos: topspot-ffm
Artikel: Frankfurter Rundschau