Archiv

WERTICAL Interview mit FINOK [DEUTSCH]


Das WERTICAL Team hat sich mit FINOK aus São Paulo während der Vorbereitungen zu seiner aktuellen Ausstellung in der Kölner Ruttkowski68 Galerie unterhalten. Das komplette Interview, ein Video aus der Galerie und den Katalog zur Ausstellung gibt´s nach dem Jump!




Wie nicht anders von einem brasilianischem Jungen zu erwarten, träumte auch Raphael Sagarra von einer Karriere als Fußballprofi – zumindest bis sich ein anderes Interesse in den Vordergrund schlich: Graffiti.

Raphael war 16 Jahre alt als er die Jugendlichen aus seiner Nachbarschaft von São Paulo immer wieder dabei beobachtete wie sie in schwindelerregende Höhen hinaufkletterten und dort mit Spraydose und Farbe Schriftzüge auf den Hausfassaden hinterließen. Ihn begeisterte nicht die Höhe, sondern die Wiederholung und die damit einhergehende Verbreitung der Schriftzüge. Er widmete sich also dem klassischen Graffiti, nannte sich Finok und entwickelte schnell eine eigene Handschrift: große Augen durch die seine Figuren an Cartoon-Charaktere erinnern und signifikante Farbauswahlen, die immer wieder auf Grün basieren. Farbe spielt auch bei seiner Graffiti-Crew VLOK eine zentrale Rolle – schließlich mischen die brasilianischen Zwillinge Os Gêmeos mit. Sie sind für ihre Charaktere in Gelbtönen bekannt.

Heute ist Finok 26 Jahre alt und in Südamerika und den USA ein angesehener Graffiti-Künstler. Er stellt in Galerien aus, realisiert großflächige Wandprojekte und kooperiert mit Firmen wie Sonnenbrillenhersteller Ray-Ban und Kult-Zehensandalen-Firma Havaianas. Wir trafen Finok während seines Aufenthalts in Köln, wo er in der Galerie Ruttkowski;68 momentan seine erste Europa-Ausstellung hat.

Ise, ein Mitglied deiner Crew, VLOK, hat sich mit auf den weiten Weg von Brasilien nach Deutschland gemacht um dir bei den Vorbereitungen deiner Ausstellung zu helfen. Euer Zusammenhalt kennt – im wahrsten Sinne des Wortes – keine Grenzen. Die Crew scheint wie eine Familie zu funktionieren.
Ja, definitiv. Wir unterstützen uns gegenseitig und lernen voneinander. Os Gêmeos, zum Beispiel, haben schon angefangen zu malen als ich noch nicht mal geboren war – sie haben eine Menge zu erzählen. Meine Crew und meine Freunde waren auch diejenigen, die mich davon überzeugt haben mehr als nur Graffiti zu machen.

Du malst sowohl im öffentlichen Raum als auch auf Leinwänden – du machst also beides: Kunst im klassischen Sinne und Graffiti; wie beschreibst du dich selbst?

Als Graffiti-Sprüher und Künstler. Graffiti ist meine Basis durch die ich mit Kunst in Berührung gekommen bin. Ohne Graffiti könnte ich heute nicht das machen, was ich tue.

Während also versucht wird Graffiti als eigenständige Kunstform zu etablieren, hat für dich das eine mit dem anderen nichts zutun?

Genau. Für mich sind Graffiti und Kunst zwei verschiedene Sachen. Beim Graffiti geht es darum Buchstaben zu lesen. Bei der Kunst geht es darum zu sehen, zu fühlen und zu denken. Meiner Meinung nach können Kunst und Graffiti nur eine Sache gemein haben; und zwar ihre Inspirationsquelle – was in meinem Fall die Straße ist. Während ich auf der Straße Graffitis male, sehe ich jede Menge Dinge, die ich im Nachhinein reflektiere und in meinen Leinwänden verarbeite.

Wie zum Beispiel?

„Pipas“ – selbstgebastete Drachen und das typische Spielzeug der Vorstadtkinder von São Paulo. Oder „Marcomba“ – ein typisch brasilianisches Ritual, das dem Voodoo ähnelt und vor allem im Bundesstaat Bahia viele Anhänger hat. Sie platzieren tote Hühner oder leere Flaschen in Ecken und beschwören so das Gute und das Böse.

Stimmt – es sind tatsächlich Pipas, Flaschen und Hühner auf deinen Leinwänden wiederzuerkennen.

Ja, und gerade das macht den Unterschied zwischen Kunst und Graffiti aus. Wenn ich Graffitis male, denke ich nicht darüber nach was ich male. Wenn ich in meinem Studio an einer Leinwand arbeite, denke ich viel nach; über das was ich gesehen und erlebt habe; über Symbole, ihre Bedeutungen,…

Deine Arbeit im öffentlichen Raum und deine Leinwandarbeiten ähneln sich also auch nicht?
Nein. Im öffentlichen Raum male ich ausschließlich Buchstaben oder – wenn es eine Wandmalerei ist – kombiniere ich Buchstaben mit etwas Figurativem. Meine Leinwände dahingegen haben ihren eigenen Stil. Sie bestehen nicht aus Buchstaben, sind aber eben trotzdem lesbar.

Wie hat es mit dir und der Kunst angefangen?

Ich habe Auftragsarbeiten gemacht, Wände und Leinwände bemalt bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel, dass ich das auch eigenständig machen kann. Und so beschloss ich also frei zu arbeiten.

Und das hat von vornherein funktioniert oder hattest du jemals noch einen Job, den du nur des Geldes wegen gemacht hast?

Oh ja! Ich habe meinem Vater, einem Geografen, assistiert. Parallel dazu habe ich studiert.

Was hast du studiert?

Grafikdesign. Aber ich habe das Studium abgebrochen und angefangen Kunst zu studieren. Aber auch das habe ich nicht beendet da ich zu dem Zeitpunkt schon anfing mich auf meine persönlichen Arbeiten zu konzentrieren. Natürlich bin ich der Meinung, dass man Wissen haben muss, aber um es zu erlangen muss man nicht zwingend die Schulbank drücken. Durch Reisen, Lesen, in sich hinein hören um die wirklichen persönlichen Interessen kennenzulernen, Aufmerksamkeit und Reflektion, bildet man sich auch.

Dein Start war jedenfalls vielversprechend – es gab von Anfang an Interesse an deinen Arbeiten.

Ja, definitiv. Aber in Brasilien hat Graffiti auch einen hohen Stellenwert. Graffiti ist in Mode; es ist unübersehbar. Sogar Propaganda wird mit Graffiti gemacht.

Politische?

Nein, kommerzielle. Viele Marken nutzen Graffiti als Werbemaßnahme.

Graffiti ist zu einem globalen Trend geworden. Siehst du einen Unterschied zwischen der Graffiti-Kultur in Brasilien und der in der restlichen Welt?

Ja, natürlich. Die Amerikaner erfanden Graffiti, die Europäer entwickeln Graffiti weiter und wir, in Brasilien, haben eine ganz andere Herangehensweise an Graffiti als jede andere Kultur. Hier gibt es sogar gläubige Sprüher, die ihre Religion mit Graffiti verbreiten. Es gibt viele verschiedene Styles, aber auch genügende, die noch nicht einmal den Ursprung von Graffiti kennen. Das führt manchmal natürlich zu etwas Kreativen, Neuen – kann natürlich aber auch zu Missverständnissen führen.

Wie so vieles. Die momentanen Diskussionen beschuldigen den Kunstverkäufer und -berater Jeffrey Deitch, die Kunstwelt in eine Glamour-Welt zu verwandeln, wie wir es beispielsweise von der Popmusik gewohnt sind. Fühlst du dich dazu gezwungen diesen Popwelt-Ansprüchen stand zu halten?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich verfolge die Diskussionen natürlich und ich denke nicht, dass Jeffrey Deitch irgendeine Schuld trägt. Es ist die Gesellschaft, also wir, die diese Entwicklung ins Rollen bringt. Ich denke, dass Künstler heutzutage einen größeren Einfluss als Musiker oder Schauspieler auf das öffentliche Leben haben können weil sie echte Gefühle ausdrücken. Was auch immer Künstler tun: es kommt von Herzen und drückt Persönlichkeit aus. Und es ist genau das, was wir missen. Meiner Meinung nach sollte die Kunst keine Regeln befolgen müssen. Kunst bedeutet Freiheit; jeder sollte tun können was er möchte.

Es war also eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass die ungeschriebene Regel des intellektuellen Künstlers bricht und jeder ein Künstler sein kann?

Ja. Was auch immer die Leute sagen, Deitch hat es geschafft, dass das MOCA mehr Besucher denn je hat. Er hat realisiert, dass die Kunst im breiten öffentlichen Interesse steht. Nicht nur die intellektuelle Elite, sondern jeder genießt es Museen oder Galerien zu besuchen um Kunst zu sehen. So soll es auch mit meinen Arbeiten sein: jeder soll sie sehen und nach eigener Auffassung interpretieren können. Es gibt kein richtig oder falsch.

Egal wie intensiv man sich mit deinen Bildern beschäftigt, dass du dich von deinem Heimatland inspirieren lässt ist definitiv unübersehbar.

Das stimmt. Für meine aktuelle Ausstellung in der Galerie Ruttkowski;68, habe ich allerdings auch Leinwände hergestellt, die von Indien inspiriert sind. Ich mag es fremde, neue Dinge zu sehen und da Indien so anders ist als Brasilien, war es die perfekte Inspirationsquelle für mich. Es ist mittlerweile ein Jahr, dass ich dort war, aber die Eindrücke sind offensichtlich geblieben. In Brasilien sehe ich manchmal den Wald vor Bäumen nicht. Ich bin froh reisen zu können, wieder heim zu kehren und mein Heimatland aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Mit der Neugierde eines Touristen.

Genau. Außer dem Erlebten, stelle ich gerne Symbole dar.

Und spielst mit ihren Bedeutungen?

Ja, deswegen recherchiere ich viel, aber ich erfinde auch meine eigenen.

Deine Leinwände sind also eine Mischung aus Erlebnissen, Tatsachen und Fantasie?

Ganz genau.

Hast du dein Notizbuch ständig bei um Ideen zu notieren?

Ja, immer! Das muss sein. Sonst vergesse ich die besten Ideen wieder.

Hast du dir etwas notiert seitdem du hier in Deutschland bist?

Nein, dieses Mal nicht. Das habe ich gemacht als ich das erste Mal hier war.


Und das hast du dann später auf einer Leinwand verarbeitet?

Nein. Brasilien und Deutschland sind natürlich unterschiedlich, aber die Unterschiede sind nicht so prägnant, dass es sie aufzuzeichnen lohnt.

Das stimmt – die Globalisierung gleicht uns an. Obwohl du schon eine Menge in deiner jungen Karriere erreicht hast, sagst du, du hättest noch einen weiten Weg vor dir hast; was ist das Ziel?

Das habe ich definitiv, allerdings habe ich kein klares Ziel. Das allerwichtigste für mich ist, mich immer weiter zu entwickeln. Es gibt berühmte Künstler, die tolle Sachen machen, aber mit ihrer Situation zufrieden sind und sich deswegen nicht mehr weiterentwickeln. Ein solcher Stillstand wäre das schlimmste für mich.

Interview: Wertical.com / Wertical auf Facebook / Interview English Version / Photos: Nils Müller / Finok auf ILG



FINOK – Galerie Ruttkowski68 – Köln
Bismarckstrasse 68
50672 Köln
Phone +49(0)221 1699 3647
info@ruttkowski68.com

Öffnungszeiten
Mo-Fr 15 bis 20 Uhr
Sa-So 17-20 Uhr
Die (nach Absprache)

Ausstellung geöffnet bis 09.September 2012
FINOK / Ruttkowski68 Katalog (siehe unten)