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BERLIN – Kammergericht kippt UNLIKE U Verbot

In 1 bis 2 Wochen wird amtlich sein was bis Donnerstag (25.10.2012) wohl niemand mehr erwartet hätte: das Berliner Kammergericht hat das von der BVG geforderte und bereits ausgesprochene Verbot für die Dokumentation “Unlike-U – Trainwriting in Berlin” in einer Berufungsverhandlung gekippt.

Im vergangenen Juni hatte das Landgericht Berlin die Dokumentation “Unlike-U” nach Klage der Berliner Verkehrsbetriebe verboten. Einige Monate später in dieser Woche gings in die Revision, kurz vor der Berufungsverhandlung haben sich die Macher des Films mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewendet. Wenn das Urteil gegen sie bestätigt wird, wäre es das Ende des kritischen Dokumentarfilms, befürchten sie. Die Filmproduzenten Henrik Regel und Björn Birg haben gerade eigentlich anderes zu tun.

“Für einen ordentlichen Vertrieb ist der Zug sowieso schon längst abgefahren”

sagt Regel und stellt schnell zwei Telefone lautlos, weil die sonst ununterbrochen klingeln würden.

“Was uns ärgert ist, dass missliebige Dokumentationen künftig ziemlich problemlos verboten werden können. Wenn das Urteil so bestehen bleibt, gefährdet das mehr als nur ein paar Filmemacher. Hier wird auch Journalisten ein wichtiges Instrument aus der Hand geschlagen, um gesellschaftliche Grauzonen auszuleuchten. Das betrifft Foto und Film, Print und TV gleichermaßen.”

Deshalb haben sie einen Brandbrief an alle Landesmedienanstalten und die großen Filmverbände geschrieben, in dem sie auf die möglichen Folgen des Urteils aufmerksam machen.

Das Urteil des Landesgerichts setzt der Meinungs- und Pressefreiheit tatsächlich sehr klare Grenzen. Laut Begründung des ersten Urteils müssen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Nutzung von Filmaufnahmen dann nicht dulden, wenn diese erstens ohne Genehmigung und zweitens auf ihren Grundstücken gemacht wurden (Urt. v. 10.05.2012, Az. 16 O 199/11). Eine Abwägung zwischen Eigentumsrechten und Pressefreiheit findet so quasi nicht statt. Genau das hat die Entscheidung in den Augen der Regisseure so brisant gemacht. Regel befürchtet:

“Das Bildrecht am Eigentum könnte zum Maulkorb für jede Form der kritischen Bildberichterstattung werden.”

Vorbild für die Berliner Kammer war der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall “Preußische Schlösser und Gärten” (BGH, Urteil vom17.12.2010, Az. V ZR 44/10), auf den sich Richterin Christiane Klinger explizit bezieht. Damals wehrte sich die Stiftung “Preußische Schlösser und Gärten” dagegen, dass fremde Fotografen beispielsweise Motive des Schlosses Sanssouci als Postkarten verkaufen. Der BGH gab ihnen Recht. Die kommerzielle Nutzung sollte allein der Stiftung vorbehalten bleiben.

Produzent Regel hält diese Gleichsetzung von Dokumentarfilmen und Postkartenfotografie für Unsinn:

“Es ist doch nicht so, dass wir die pittoresken Betriebsbahnhöfe der BVG darstellen wollten. Unser Thema ist das Trainwriting. Da sind die Bahnhöfe Kulisse, mehr nicht.”

Die BVG hat jedoch kein Interesse daran, dem Trainwriting ein Forum zu bieten, dafür kostet das “Problem” Graffiti den Verkehrsbetrieben in der Hauptstadt zu viel Geld: Allein im Jahr 2010 musste das Unternehmen 6,4 Millionen Euro ausgeben, um Züge und Bahnhöfe von Farbe zu befreien.

Regel und Birg sind zu Kompromissen bereit. Mehrfach sei man auf die Verantwortlichen zugegangen, so die Regisseure. Man wollte die BVG im Film als Geschädigte zu Wort kommen lassen oder bestimmte Szenen verändern. Regel und Birg hatten sogar angeboten, einen Imagefilm für die BVG zu drehen, um auf die Gefahren des Sprayens aufmerksam zu machen.

“Mehr Glaubwürdigkeit als jede BVG-Eigenproduktion hätte das gehabt. Aber die PR-Abteilung lehnt ein Treffen mit uns ab”

erzählt Regel. Diese Haltung ist auch für die Anwälte der Filmemacher außergewöhnlich.

“So wie sich die BVG verhält, das habe ich als Anwalt noch nicht erlebt. Normalerweise spricht man miteinander und versucht eine gerichtliche Auseinandersetzung wenn möglich zu vermeiden. Die BVG wollte aber nur eines: den Film verbieten. Das ist Verhandlungsführung aus der Steinzeit”

so Andreas Schumacher von Spieß Schumacher Schmieg & Partner.

Am Donnerstag hat der Vorsitzende der 10. Zivilkammer des Berliner Kammergerichts, Ralf Neuhaus verhandelt, wie weit das Eigentumsrecht die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden darf und schlussendlich das Verbot gekippt. Die Dokumentation “Unlike U” darf wieder öffentlich aufgeführt und verkauft werden. Nun betonte das Kammergericht laut einer Sprecherin der Filmemacher die künstlerische Freiheit. Der Film würde Straftaten nicht forcieren, sondern abbilden und erklären. Verboten sind „ungenehmigte Filmaufnahmen von Verkehrsmitteln bzw. Betriebsanlagen, soweit diese innerhalb dieser Verkehrsmittel oder Anlagen aufgenommen worden sind“, wie das Gericht mitteilte.

In 1 bis 2 Wochen wird das Urteil höchstwahrscheinlich rechtskräftig.

Ein Urteil das in der Zukunft noch von Bedeutung sein könnte denn “Unlike U” wird sicherlich nicht die letzte Dokumentation dieser oder anderer Art aus der Hauptstadt gewesen sein.

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Quellen: Unlike-U / Christopher Hauss (Jurist und Berater für strategische und politische Kommunikation in Berlin) / Tagesspiegel