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WERTICAL Interview mit Rik Reinking

Als Rik Reinking einem befreundeten Auktionator vor gut 10 Jahren eine gesprühte Leinwand zeigte, wurde er dafür belächelt und mit einem herabwürdigenden ‘lass ihn mal’ abgetan. Reinking war einer der ersten, die Stencils, Graffitis, Sticker und Gekleistertes wertschätzten – und zwar zu einer Zeit, als Street Art noch kein Begriff war und Banksy wohl eher für pubertär gehalten als als ernstzunehmender Künstler angesehen wurde. „Während heute,“ so resümiert Reinking, „diejenigen, die sich damals amüsierten, vor genau diesen Werken u.a. von Banksy niederknien. Dabei hat sich an dem Bild nichts geändert. Allerdings das Image und die Zahl, die dazu im Raum steht.“



Einen Teil seiner Sammlung präsentierte Reinking beispielsweise im Weserburg Museum (Katalog) mit Arbeiten von Herbert Baglione, Banksy, Blu, Boxi, Brad Downey, Mark Jenkins, Miss Van, Mode 2, Os Gêmeos, Mirko Reisser (DAIM), Shepard Fairey, Space Invader, Swoon, Zevs und vielen mehr (Fotos oben: JUST)


Rik Reinking ist Kunstkritiker, -händler und -sammler. Er schreibt Bücher über Kunst und kauft Kunst – für andere und vor allem für sich. Seine Sammlung besteht aus so vielen Werken, dass er keine genaue Zahl nennen kann. Fest steht jedenfalls, dass die Sammlung locker eigene Ausstellungen füllt.

WERTICAL hat Reinking in seinem Zuhause und Büro in Hamburg getroffen. Das Regal hinter dem Schreibtisch ist mit Büchern und Katalogen gefüllt. Der Überblick gibt einen schnellen ersten Eindruck von Reinking: er unterscheidet nicht zwischen High und Low Art. Für ihn ist der Scrimshaw, der vor ihm auf dem Schreibtisch liegt, ebenso interessant und wertig wie die Os-Gêmeos-Gitarre, die in einer Ecke lehnt. WERTICAL sprach mit Reinking über seine Sammlung und erfuhren von TIM – einem Kunstwerk, das er 2008 kaufte und das wohl das einzige der Welt ist, welches eigene Forderungen stellt.

Du weißt also wirklich nicht, wie viele Kunstwerke deine Sammlung umfasst?

Nein, ich habe wirklich keine Ahnung. Es gibt so viele Versuche, eine Sammlung zu definieren oder zumindest zu klären, wann eine Ansammlung eine Sammlung ist, aber mir ist es eigentlich egal, wie das, was ich hier zusammen getragen habe, definiert wird. Deswegen habe ich auch eine meiner Ausstellungen Call it what you like genannt. Was bringt mir diese magische Zahl, durch die eine Sammlung eingeschätzt wird? Sie ist doch immer nur eine relative Grösse. Es gibt zum Beispiel einen Künstler, von dem ich jeden Tag zwei Fotos erwerbe.

Jeden Tag?

Ja, und das seit gut 15 Jahren. Das heißt, mit durchschnittlich 365 Tagen im Jahr sind das mittlerweile über 12.000 Fotos von ihm. Wie gliedere ich diese nun in meine Sammlung ein? Ist das ein Werk weil es zu einem Konzept gehört, oder zählen die einzelnen Bilder?

Das ist eine gute Frage. Viele würden sicherlich die einzelnen Arbeiten zählen, anstatt sie zu einer Arbeit zusammenzufassen. Es muss sich um einen sehr produktiven Künstler handeln.

Ja, die Arbeit ist von dem deutschen Künstler Till F.E.Haupt und es gehört mit zu seinem Konzept. Er trägt eine Lochbildkamera um den Hals und macht damit jeden Tag ein Photo indem er all das Licht und die Eindrücke des Tages bündelt. Es entstehen aber zwei Fotos – ein weiteres macht er von sich selbst.

Und du bist der einzige, der sie bekommt?

Ich denke, in dieser Konsequenz – ja. Das weiß der Künstler allerdings besser.

Hat er denn ein interessantes Leben, das sich lohnt, visuell festgehalten zu werden?

Ja, definitiv.

Bemerkenswert, Menschen, die sich immer wieder selbst fotografieren.

Vor allem mit dieser Geradlinigkeit. Es ist ein intensives Projekt.

Wie hast du diese Arbeit also eingegliedert?

Als ein Werk.

Deine Sammlung enthält Alte Meister, Antiquitäten, Werke aus der Informellen Kunst, Fluxus, Nouveau réalisme, Konzeptkunst sowie Arbeiten aus der heutigen Zeit. Ob man es nun als Street oder Urban Art bezeichnet, siehst du die aktuelle Bewegung als ernstzunehmende Kunstrichtung an?

Ja, und das ist eine der großen Chancen unserer Zeit. Seit Fluxus ist Graffiti, Street oder Urban Art die einzige Kunstrichtung, die sich international durchsetzt und aus der sich nun langsam die wichtigsten Künstler herauskristallisieren. Ich bin lediglich den Preisen gegenüber skeptisch, die heutzutage mit dieser jungen Kunst erzielt werden. Natürlich kann mit Geld ein Moment bemessen werden, aber mit Sicherheit nicht die Qualität einer Arbeit. Heute wird mit dem Preis auf dem Kunstmarkt auch ein gesellschaftlicher Kontext verkauft, aber nicht immer zwingend auch eine brillante Arbeit.
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Bist du überhaupt noch an Arbeiten interessiert, die heute auf dem Markt sind?

Ich kann mir junge Kunst einfach häufig nicht mehr leisten. Ich habe aber meine Arbeiten, mit denen ich leben möchte. Und die haben für mich jederzeit denselben Wert. Natürlich bezahle ich den Preis, der ansteht, aber ich vergesse ihn in derselben Sekunde auch schon wieder. Er interessiert mich dann nicht mehr. Das einzige, das mich am Preis interessiert, ist, wie mein Konto aussieht und ob ich mir die Arbeit leisten kann.


Ist deine Sammlung demnach vollständig, oder suchst du ab und zu noch nach neuen Künstlern und Werken, die du aufnehmen kannst?

2008 wollte ich meine Sammlung eigentlich abschließen und habe ein Schlusswerk erworben, aber seitdem habe ich doch noch viele Werke dazugekauft.

Warum wolltest du denn aufhören?

Ich dachte, jetzt ist gut, und habe eine ultimative Arbeit gefunden, die meine Sammlung komplettieren sollte.

Was war das für eine Arbeit?

TIM – eine Arbeit von Wim Delvoye. Es ist ein Rückentattoo.

Hast du die Arbeit hier?

Nein, das kann ich nicht. Der Träger ist ein junger Schweizer, der zur Zeit noch in der Schweiz lebt.

Wie kam es denn dazu, dass er seinen Rücken als Kunstwerk ausgeschrieben hat und du davon mitbekommen hast?

Ich war in einer Galerie in Zürich, und da war die Arbeit ausgestellt.

Als Foto?

Nein, Tim Steiner, der Träger der Arbeit, stand da.

Und was ist an seinem Rückentattoo so besonders? Hat Wim Delvoye es selbst tätowiert?

Nein, er hat es signiert, aber das Tattoo selbst hat ein Tätowierer angefertigt.

Nach seiner Vorlage?

Genau. Und Tim trägt die gleichnamige Arbeit nun auf seinem Rücken.

Wie alt ist Tim?

So alt wie ich. Ich meine, wir sind ein Jahrgang.

Wie viel hat ihm sein Rücken denn eingebracht?

Das weiß ich nicht. Ich habe die Arbeit über die Galerie von Wim Delvoye gekauft.

Und wie sieht der Deal genau aus?

Nach seinem Tod wird die Haut abgezogen, gegerbt und aufgekeilt.

Ui.

Kaffee, Tee, Wasser?

Nein danke. Wie stehst du zu der Arbeit? Fasziniert dich der Gedanke, etwas Lebendiges gekauft zu haben?

Sagen wir mal so: Ich hätte die Arbeit nicht gekauft, wenn ich ein 60-, 70- oder 80-jähriger Sammler wäre oder er ein so alter Träger. Die Tatsache, dass wir ungefähr gleich alt sind, finde ich eine spannende und wichtige Komponente. Es entsteht ein gewisser Wettlauf. Es fiel mir auch nicht leicht, die Arbeit zu kaufen – ich habe mich durch viele schlaflose Nächte gequält. Die Arbeit erfährt immer wieder neue Ebenen, mit denen ich nie gerechnet hätte. Erst vor kurzem hatten wir eine lange Diskussion – und das ist so skurril, weil man mit einem Kunstwerk eigentlich keine Diskussion hat. Sonst erwirbt man es, wenn man es mag, hängt man es hin, und wenn man es nicht mehr sehen kann, stellt man es für eine gewisse Zeit ins Lager. Das ist der normale Lauf der Dinge. Und jetzt hatten wir die Situation, dass das Kunstwerk, nachdem es inzwischen eine sehr gute Ausstellungsvita hat … ich habe es erworben und dann ging es erstmal nach Karlsruhe ins ZKM …

Das heißt, Tim stand dann dort jeden Tag?

Ja, an machen Tagen.

So verdient er also sein täglich Brot?

Jetzt war er gerade Leihgabe im Louvre. Ich muss immer lachen, wenn ein Museum anruft und die Arbeit anfragt. Ich sage gern, es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht: Die gute Nachricht ist, sie haben keine Transport- und Versicherungskosten. Die schlechte ist, dass sie Hotel und Verpflegung übernehmen müssen. Aber gerade das Lebendige ist das Schöne an der Arbeit. Und Tim hat die Zeit, es zu machen.

Das heißt, er ist hauptberuflich Kunstwerk?

Nein, eigentlich Musiker.

Was genau zeigt das Tattoo?

Mich interessiert das Bild an sich eigentlich nur sekundär. Die Arbeit ist zentral und wichtig für meine Sammlung. All die verschiedenen Ideen von Energiefeldern,Werten, die An- und Abwesenheit von Körpern – das sind für mich interessante Themen. Und da gehört dann etwas wie Low Art – Graffiti oder Street Art oder Tattoo – selbstverständlich dazu.

Das ist ja genau, was dich ausmacht: Du bringst High Art und Low Art zusammen und stellst sie gegenüber.

Und aus diesem Selbstverständnis heraus funktioniert es.

Worum ging es in der Diskussion, die du kürzlich mit Tim hattest?

Er kam zu mir und meinte: „Rik, ich möchte verkauft werden.“ Aber das wollte ich nicht. Er sagte, ich solle ihn nicht falsch verstehen, aber er will auf eine Auktion, um herauszufinden, was er Wert ist.

Dein Kunstwerk wollte sich also selbstständig machen.

Genau. Aber ich verkaufe nichts aus meiner Sammlung, und das weiß er. Wir haben lange diskutiert, sind zu dem Schluss gekommen, dass wir es nicht machen. Ich habe die Arbeit erworben und sehe es auch als meine Aufgabe, sie ein Stück weit zu schützen. Wer weiß, ob er dann an jemanden verkauft wird, der ihm nicht so wohl gesonnen ist. Wir wissen alle, was ein Menschenleben in manch anderen Kulturkreisen wert ist.

Ist Tim als Kunstwerk denn auch versichert?

Zu TIM gibt es ein knapp 30-seitiges Vertragswerk.

Das sicherlich auch deine Rechte schützt. Warum war TIM für dich die ultimative Arbeit?

Aus einem ganz einfachen Grund und den kennt auch Tim, denn er ist sehr clever und kritisch.
Die Arbeit spiegelt unsere Zeit unerschrocken wider: Es ist eine Zeit, in der auch die mediale Öffentlichkeit einen solch immensen Wert darstellt, dass jemand bereit ist, solch einen Pakt einzugehen. Das ist eine sehr interessante Komponente an dieser Arbeit. Ich glaube, ich habe Tim ein bisschen geschockt, weil mich Besitz und Werte gar nicht so sehr interessieren. Natürlich gehören Dinge, die ich kaufe, mir, aber das interessiert mich nicht. Mich interessiert Macht nicht und deswegen wahrscheinlich auch Geld nicht. Wenn jetzt aber diese Arbeit kommt und sagt: „Ich möchte verkauft werden“, werde ich plötzlich mit dieser Machtposition konfrontiert, in der ich mir erlauben kann, Ja oder Nein zu sagen. Das Kunstwerk bringt mich dazu, meine Macht auszuspielen, und das widerstrebt mir. Also habe ich ihm gesagt: „Ich habe lediglich die Verantwortung für deinen Rücken. Wenn ich das Werk ernst nehme – im Interesse des Künstlers und meinem –, dann muss ich es losgelöst vom Kopf sehen, der dazu gehört. Denn der Kopf und der Körper gehören dir, Tim.

Interview: WERTICAL.com (english Version)
Fotos: Nils Müller

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