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INTERVIEW – “Pegida bringt mich zum Kotzen” – HERA

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Wie in unserem Film “Colours Of Resilience” (in Zusammenarbeit mit ARTE CREATIVE) bereits ausführlich dokumentiert, arbeitet HERA zusammen mit AKUT und der Non-Profit-Organisation aptART.org (“Bewusstsein und Prävention durch Kunst”) zusammen. Im Frühjahr 2014 reisten sie dafür in das jordanische Flüchtlingslager Zaatari, in dem zu der Zeit 80.000 Syrer lebten. Hier malten sie zusammen mit Kindern. Daraus ging die Ausstellung “Colours of Resilience” in Frankfurt hervor. Im Herbst kam die Ausstellung “Paint outside the Lines” in Brüssel dazu. Dazwischen malte das Duo gemeinsam mit dem Verein Refugio und Flüchtlingen aller Altersgruppen und aus aller Welt in der Erstaufnahmestation Bayernkaserne in München.

HR ONLINE hat mit Jasmin Siddiqui aka HERA von Künsterduo HERAKUT über aktuelle Themen wie PEGIDA, Fremdenfeindlichkeit, das Attentat von Paris und Flüchtlingshilfe gesprochen. Jasmin wurde in Frankfurt geboren, ihr Vater stammt aus Pakistan, ihre Mutter ist Deutsche.

hr-online: Jasmin, wie kamt ihr auf die Idee, mit Flüchtlingen zu arbeiten?

Jasmin Siddiqui: Dazu muss ich vorab sagen, dass mein eigener Vater Asylbewerber in Frankfurt war. Er kam – in der Hoffnung, sein Leben hier ohne ständige Fremdbestimmung zu verbringen – in den 1970ern von Pakistan nach Deutschland. Obwohl er beruflich ganz von vorne anfangen musste, ohne Anerkennung seines akademischen Grades, ohne die Unterstützung seiner Familie, ohne irgendwelche Freunde und ohne mitgebrachte Deutschkenntnisse, hat es mein Vater geschafft, ein aufrechter, hart arbeitender und seine Steuern pünktlich zahlender Bürger dieses Landes zu werden. Er ist ein Paradebeispiel für Integration und einer meiner persönlichen Helden.

Als Künstlerin des Genres “Street Art” muss ich reisen, mich mit fremden Städten, Völkern, Problemen auseinandersetzen. Es interessiert mich, in welchen Punkten, sich das Leben der Anderen mit meinem eigenen gleicht. Ich suche immer nach diesen Schnittmengen.

Wir als Herakut dachten dann: Wir sind international aktiv, was bedeutet, dass unsere Gedanken auch für ein internationales Publikum relevant sind. Wir können etwas bewegen. Unser Einsatz für die Nächstenliebe kann als Vorbild dienen. Wir können zeigen, wie es funktioniert, wenn man auf die Nöte des Anderen Rücksicht nimmt. 2014 verbrachten wir also unseren Februar im Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens.


Was war dort euer eindrücklichstes Erlebnis?

Wir haben den Unterschied zwischen einem Leben und einem Flüchtlingsleben kennengelernt. Er ist immens. Es ist, als befinde man sich mit allem, was einem in dieser Welt wichtig ist, an einem Bahngleis, wartend auf einen Zug, der in eine völlig unbekannte Richtung fährt. Und man wartet und wartet und wartet und wartet. Und nichts passiert. Nichts. Es ist ein zermürbendes Gefühl von Unsicherheit, das Flüchtlinge, ganz gleich welcher Herkunft, tagtäglich umgibt. Man ist gefangen in Ängsten. Jeden Tag. Immer. Für Kinder ist das schlimm. Als Kind ist man einfach auch ängstlich – schließlich ist man mittellos, zerbrechlich und immer angewiesen auf die Hilfe Stärkerer. Aber die Angst befällt auch die Erwachsenen, die Mütter und die Väter. Sie schämen sich für ihre Ratlosigkeit. Die Bürde ist zu groß. Die Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit ist zu erdrückend. Wer hält das schon aus?

Ich engagiere mich für Flüchtlingshilfe, weil dieses schreckliche Schicksal, die Heimatlosigkeit und die einhergehende Perspektivlosigkeit, ganz einfach jedem Menschen zustoßen kann. Nicht nur “denen” sondern eben auch uns. Wir gehören alle zur gleichen Familie. Wir sind alle aus Fleisch und Blut und Knochen. Warum soll man seinen Geschwistern nicht helfen? Doch nur, wenn man geizig ist und den anderen den nötigen Schutz einfach nicht gönnt.


COLOURS OF RESILIENCE – Dokumentation über HERAKUT und ein Projekt im Syrischen Flüchtlingslager Za´tari (Jordanien)


Damit sind wir bei den Pegida-Demos in Dresden und anderen Städten.

Na, die Einstellung, anderen zu helfen, sollen sich die großspurigen “Pegida-Christen” erst einmal aneignen. Wer von denen kennt das Christentum wirklich? Wer von denen weiß, wofür das Kreuz steht? Und außerdem: Die wissen gar nicht, was Angst ist. Welcher dieser braven deutschen Bürger, die in Dresden Anti-Ausländer-Parolen singen, könnte der Angst mutiger begegnen, als die Flüchtlingsväter vor Italiens Küste?

Das klingt wütend.

Ja, wenn doch nur jeder Mitläufer dieser ganzen Pegida-Demos nur halb so viel Energie in soziales Engagement legen würde… Dann ständen wir gut da! Jede Annäherung an das Unbekannte birgt doch neue Möglichkeiten, sein eigenes Weltbild zu ergänzen. Ich lerne von jedem Menschen, der mir begegnet. Jeder inspiriert mich und meine Arbeit.

Pegida bringt mich schlichtweg zum Kotzen. Diese Leute wissen gar nicht, wie sehr sie in ihrer Intoleranz, ihrem Geiz, ihrem Herrschaftsanspruch den IS-Anhängern gleichen. Fanatismus ist Fanatismus, egal unter welcher Flagge.

Seid ihr eigentlich schon einmal bedroht worden? Von Rechten – oder von Islamisten?

Obwohl ich immer vor rechten Angriffen Angst hatte, war es tatsächlich ein Landsmann meines Vaters, ein Pakistaner, der mich am meisten schockierte. Über eines der sozialen Netzwerke meldete er sich 2013 wegen eines unserer Bilder in Berlin mit einer direkten Ansprache an mich und mit Vergewaltigungswünschen. Wie armselig Männer doch sein können! Ich behaupte mich aber gegen jeden, wenn es um meine persönlichen Anschauungen geht – ganz gleich ob sie Glatze oder ein Gewehr tragen. Das ist mir egal.

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“Does a truly great God really need weapons to prove his existence?” (HERA)


Nun sind in Paris gerade Kreative ermordet worden, die nach Ansicht ihrer Mörder den Propheten Mohammed beleidigt haben. Du hast muslimische Wurzeln, bist hier im christlichen Deutschland aufgewachsen, kennst also beide Seiten. Wie war das für dich, als du von dem Attentat erfahren hast?

Dazu muss ich zurück in meine Kindheit gehen: Im konservativ muslimischen Teil meiner Familie waren sogar die Zeichnungen mit Marienkäfern auf Blumen verpönt, die ich als Zehnjährige meinen Tanten schenkte. Selbst die Darstellung von Insekten auf Papier sei gotteslästerlich, da ich damit die Schöpfung imitiere – also eine schändliche Straftat.

Ich denke, dass ich also die Freiheiten der westlichen Welt zu schätzen wusste, lange bevor ich deren geografische und historische Grenzen kannte. Weil mein Vater ein moderater Gläubiger war, wuchs ich natürlich mit den religiösen Wurzeln beider Elternteile auf – mit der Kinder-Bibel und dem Koran für Kinder gleichzeitig. Die Erkenntnis daraus war, dass alle Kulturen sich um gesellschaftliche Grundregeln und Leitfäden bemüht haben und alle haben sich erzähl-technisch der “Gleichnisse” und “Wunder” bedient. Koran und Bibel sind eben historisches Erbe.

Zu Paris: Ich trauere um alle Opfer fanatischer, dummer und pseudo-religiöser Anschläge! Keiner der Täter hat seinem Gott wirklich Ehre erwiesen. Für uns als Herakut ist alles wichtig, was nach den Morden in Paris geschah: die Geschlossenheit, die Demonstration von Brüderlichkeit, und so weiter. Das war wichtig für uns. Der Kampf ist nicht vorbei.


Denkst du, dass das Paris-Attentat Konsequenzen für eure Arbeit hat?

Warum sagen Tausende von Menschen in diesen Tagen “Je suis Charlie”? Weil alle durch den Terror ermordeten Menschen in der Redaktion von “Charlie Hebdo” Humoristen waren. Sie lachten. Sie boten dem Ernst und den religiös-verklärten Menschen die Stirn. Sie hatten keine Angst und sie leben dadurch weiter, weil wir uns an ihren positiven Beitrag erinnern.

Die ehrlichen, liebenden Massen werden gewinnen. Die verrückten, vernachlässigten Männer, die ihre Vaterfiguren in irgendwelchen selbsternannten Kalifen suchen, werden hoffentlich irgendwann erkennen, welchen selbstherrlichen Lügen sie aufgesessen sind. Es tut uns leid für die vielen, suchenden IS-Anhänger, aber wir glauben an Menschen und ihre Fähigkeit, Realität von Fantasie zu unterscheiden. Wir können das und wir sind nicht besser als andere. Wenn wir ganz reale Zusammenhänge erkennen können, dann können sie es auch. Davon bin ich überzeugt.

Und doch wirst du deine Religion in den kommenden Wochen – wie nach vorangegangenen Anschlägen – auch gegen andere Kreative wieder häufig verteidigen müssen.

Was ich von Kreativen und demnach auch von mir selbst fordere ist, die Kreativität immer für das Positive einzusetzen. Jemand anderen zu verletzten, weil man damit Geld verdient, ist das Gegenteil. Darunter fallen auch so manche Karikaturen. Tut mir leid, aber nur weil es vielleicht “Kunst” ist, muss es nicht gut sein. Ich bevorzuge Botschaften, die einfach zu clever sind, um auf dem Radar des Fanatismus aufzutauchen. Seid kritisch, aber seid smart dabei und bewahrt einen letzten Rest von Respekt! Das wäre mein Appell an meine Künstler-Kollegen. Ich selbst muss mich auch zensieren, wenn ich Kunst im Öffentlichen Raum hinterlasse. Aber das ist die größere Herausforderung: Zu allen Kulturen zu sprechen ist eine echte Aufgabe! Ich nehme sie gerne an.

Das heißt, dass ihr eure Arbeit mit Flüchtlingen auch 2015 fortsetzt?

Ja, 2015 werden wir die Organisation aptART nach Deutschland holen, weil Deutschland noch viel mehr gegen das Negative in dieser Welt tun kann. Außerdem engagieren wir uns für körperlich und seelisch gefährdete Kinder in Frankfurt. Mit einer Charity-Aktion unterstützen wir ein Kinderheim in Rödelheim. Wir wollen weiter für alle diejenigen da sein, die zwischen den Fronten stehen.

Das Interview führte Sonja Fouraté, hr-online
Fotos: Herakut | Film: Red Tower Films

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