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Hamburger Morgenpost – 187

“Wenn einer der Jungs durchs Viertel läuft und unsere Kürzel sieht, muss er stolz sein!” Die Hamburger Morgenpost trifft sich mit der 187 in der Hamburger Schanze, der Artikel “Wie gefährlich ist diese Gang?” und Fotos der Truppe nach dem Jump

Wie gefährlich ist diese Gang?
Hamburger Morgenpost, 16.11.2010

An der Holstenstraße: “187”. Max-Brauer-Allee: “187”. Susannenstraße: “187”. Wuchtige Ziffern, mal meterhoch und bunt, mal nur ein paar Zentimeter groß, mit Filzstift dahingeschmiert. Hundert-, eher tausendfach prangt der Zahlencode an den Fassaden in der Schanze und in Altona. Was verbirgt sich hinter den rätselhaften Graffiti? Die MOPO ging auf Spurensuche.

Frost spürt seine Fingerspitzen kaum. Der Sprayer steht auf einem Dach in der Schanze. Der Wind bläst kalt, seine Hände glänzen silbern, der Lack hat sich in die Haut gefressen. Die Wirkung des letzten “Jägermeisters” lässt nach, die Nervosität steigt, der Puls rast.

Nach fünf Minuten ist Frost fertig. “187” prangt auf der frisch renovierten Hausfassade.

“187” – dieser Paragraf steht in den USA für Mord. Bei Rappern, Gangstern und solchen, die es gern wären, stehen die Zahlen für Gesetzlosigkeit.

Frost heißt eigentlich Ronald, ist 25 Jahre alt, in Berlin geboren, Heimkind und Schulabbrecher. Nicht viel ist ihm gelungen in seinem Leben, aber in seiner Gang ist er Chef. Chef der Sprayer.

Seine Gang, das sind 30 junge Männer, der Jüngste 13, der Älteste 31. Schüler, Arbeiter, Arbeitslose. Dicke Ketten hängen schwer um ihre Hälse, die Schultern sind breit, die Stimmen rau, die Haut voller Tattoos.

Das Sprühen ist das eine. Das Rappen das andere. “187 Strassenbande”. Bei Youtube, dem Fernsehen der Generation Internet, haben ihre Clips Hunderttausende gesehen. Sie fuchteln mit Knarren herum. Es geht um Drogen und Gewalt. Und es ist trostlos: “Kein’ Bock auf Sex? Na, dann klatsch’ ich sie weg. Die Schlampe war frech, aber ich schick sie schlafen. Bei Gericht hat sie nichts zu verraten.”

Warum reimt man so was, als erwachsener Mensch? “95 Prozent von dem, was ich rappe, lebe ich auch”, sagt Bonez, ein baumlanger Kerl, der eigentlich Joni heißt und 24 ist. Und es klingt tatsächlich stolz.

Überfälle, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen füllen die Strafakten der “187 Strassenbande”. Kriminalität ist für sie cool. Sie hilft bei der Imagebildung.

Einer ihrer Rapper sitzt gerade im Gefängnis. Dreieinhalb Jahre “für das Übliche”, sagen seine Jungs. In seiner Strafakte steht räuberischer Diebstahl.

Ihr Viertel, die Schanze, ist mit den Jahren zum schicken Quartier mutiert -sie sitzen mit ihren Kampfhunden kiffend daneben und sind nicht mitgekommen. “Früher mussten wir über Junkies klettern, heute zahlen wir Strafe, wenn wir mit den Hunden spazieren gehen”, sagt Bonez.

Die hippen Cafés boykottieren sie, stattdessen freuen sie sich auf die Randale beim Schanzenfest. “Da können wir die Sau rauslassen”, sagt Frost.

Als Dienstältester rekrutiert er neue Jungsprayer, entscheidet, wann ein Graffito nicht gut genug ist und übersprüht wird. “Wenn einer der Jungs durchs Viertel läuft und unsere Kürzel sieht, muss er stolz sein!”

Mitleid mit Hausbesitzern hat er nicht. “Ich bin der Spiderman der City, ich habe keinen Respekt vor Reichen, die sich ihre Fassade schick halten wollen. Schon gar nicht in meinem Viertel.”

Wenn Frost einen Jägermeister zu viel hatte, kann es schon mal sein, dass er Passanten, die sich einmischen, das Gesicht vollsprüht. “Bildende Kunst” sei das, meint er. Und es wirkt fast so, als würde er das wirklich glauben …

Quelle: Hamburger Morgenpost
Fotos: quandt