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RISE OF GRAFFITI WRITING – Das Interview zur zweiten Staffel [DEUTSCH]

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Was fast genau vor einem Jahr mit zehn Episoden gestartet ist, wird ab nächster Woche mit sechs weiteren Episoden fortgesetzt: die Dokuserie ‘RISE OF GRAFFITI WRITING – FROM NEW YORK TO EUROPE’ – wie Graffiti in den 1980ern von New York nach Europa gekommen ist. Nach der ersten Staffel und dem Trailer vor der Veröffentlichung der zweiten Staffel haben wir einige Fragen an das Team von RED TOWER FILMS, die RISE OF GRAFFITI WRITING in Zusammenarbeit mit arte CREATIVE produzieren:

Die Geschichte von Graffiti reicht ja eigentlich weiter zurück, als bis in die 70er und 80er Jahre in New York. Was genau dokumentiert ihr mit der Doku Serie „The Rise of Graffiti Writing“?

Wie der Titel unserer Serie schon sagt, es geht um das klassische Graffiti und Stylewriitng. Und das wurde erstmals auf den Subways in New York betrieben. Klar gab es schon Jahrzehnte vorher diverse Writing Bewegungen in Los Angeles oder Philadelphia. Die haben aber eben nicht dazu geführt, das in Europa tausende Kids angefangen haben, in den Straßen ihrer Städte mit der Sprühdose Bilder zu malen. Keine der vielfältigen, teilweise noch älteren Spielarten des Graffiti haben soviel bewegt wie die Subway Art Bewegung der 70er und 80er Jahre. Alles was in Europa, Südamerika oder Australien danach passiert ist, hat seine Wurzeln in New York. Und um diese Geschichte ging es uns speziell in der ersten Staffel und auch jetzt in der Fortsetzung.

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Habt ihr euch für die erste Staffel bewusst Protagonisten ausgewählt oder wie genau lief die Recherche ab?

Ja, wir haben am Anfang der Recherche zahlreiche Bücher gewälzt, mit diversen Leuten gesprochen und unsere eigene Erfahrung natürlich mit eingebracht. Letztendlich gibt es sehr viele, die zu der Geschichte dieser Bewegung interessante Informationen geben können, uns ging es aber in erster Linie um die Schlüsselfiguren. Denn die gab es, auch wenn es immer schwierig ist, Entwicklungen an nur einer oder mehreren Personen festzumachen. So stand relativ schnell fest, das wir mit LEE, FUTURA2000, FAB5FREDDY, CHARLIE AHEARN, YAKI KORNBLIT, SHOE, BANDO, MODE2 oder DELTA zuerst sprechen müssen. Ohne LEE´s und FAB5FREDDY´s erste Ausstellung in Rom im Jahr 1979 hätte es wahrscheinlich die zweite, direkt im Anschluss folgende Ausstellung in Mailand 1980 nie gegeben. Von der aber ist FAB5FREDDY spontan und mit wenig Aufwand nach Mainz zum ZDF gereist. Aus diesem Besuch resultierte letztendlich, das WILD STYLE produziert werden konnte. Und WILD STYLE war wohl der europäische Touchdown der Graffiti Bewegung. Klar gab es vorher schon vereinzelt Publikationen oder kleinere Scharmützel, aber über den Mainstream Zugang von WILD STYLE wurden hunderte Kids speziell in Deutschland inspiriert. Nicht nur das, der Film hat zahlreiche weitere Medien dazu.gebracht, über Graffiti in New York zu berichten. Dann bereits immer auch mit der Breakdance und Hip Hop Verbindung, die ja in CHARLIE AHEARN´s Film schon eine große Rolle gespielt hat. Obwohl das Wort “Hip Hop” vor WILD STYLE in New York noch gar nicht etabliert war.

Kann also alles was danach in Europa passiert ist, auf WILD STYLE reduziert werden? Was ist mit STYLE WARS oder dem Buch SUBWAY ART?

Beides kam etwas später. Also um 1984 und 1985, Angefangen hat es allerdings schon früher. 1982 wurde WILD STYLE in Deutschland erstmals gezeigt, also noch vor dem ersten Screening in New York Ende 1982. Das wohl erste Graffiti Piece in Europa wurde 1981 von FUTURA2000 in London gemalt. Auch hier spielte FAB5FREDDY eine wichtige Rolle. Das FUTURA2000 schon so früh in Europa war und in Paris und London gemalt hat, lässt sich auf eine Kollabo mit der Punk Band THE CLASH zurückführen, mit der ist FUTURA auf Tour gewesen und den Bühnenhintergrund gestaltet. So kann man also heute sagen, das FUTURA2000 die erste Graffiti Writing Generation in London und Paris mit seinem für damalige Verhältnisse sehr modernen Stil stark, wenn nicht sogar entscheidend beeinflusst hat.

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Die dritte, vielleicht interessanteste Geschichte dreht sich aber um den Amsterdamer Galeristen YAKI KORNBLIT und den jungen Graffitisprüher SHOE, der schon seit 1979 ohne den New Yorker Einfluss über die Punkbewegung seine ersten Tags machte und Bilder sprühte. YAKI KORNBLIT wurde 1980 auf FUTURA2000 aufmerksam, reiste nach New York und konnte in die damals so unglaublich starke Downtown Szene eintauchen. Die Beiden fanden zusammen und relativ schnell gab es erste Ausstellungen in Amsterdam. FUTURA2000 vernetzte YAKI KORNBLIT noch im gleichen Jahr mit New Yorker Graffiti Writern wie RAMMELLZEE, CRASH, NOC167, LEE, QUIK, SEEN und DONDI. Der junge SHOE oder auch DELTA konnten sich über diese frühen Ausstellungen im Jahr 1983 direkt mit den wohl innovativsten und wichtigsten Köpfen der New Yorker Graffitiszene vernetzen. Ein glücklicher Umstand und ein Privileg, das letztendlich den Grundstein für die erste Graffiti Metropole Europas setzte. Die jungen Amsterdamer Kids hatten also den besten Lehrer den man sich vorstellen kann, DONDI. Diesen Vorteil hatten Kids in anderen Städten wie Kopenhagen oder München nicht. Zeitgleich entwickelten sich ähnlich starke Szenen in London und Paris, in denen zwei Writer besonders aufgefallen sind: BANDO und MODE2, der dann 1985 in die französische Hauptstadt gezogen ist. Noch im gleichen Jahr trafen die Beiden auf SHOE und seine Amsterdamer Freunde. Man kann sich das heute alles wahrscheinlich nur bedingt vorstellen, aber dieses Dreiergespann hat Graffiti in Europa stark geprägt. Es gab also letztendlich drei Spuren die wir für die erste Staffel verfolgt haben, zwei davon hatten direkt miteinander zu tun, WILD STYLE fand fast zeitgleich den Weg nach London oder München. Das ist sehr spannend, weil ein LOOMIT das alles 1982 und 1983 ganz anders erlebt hat als ein SHOE. Die Geschichte dieser Beiden und vielen weiteren Writern kreuzt sich dann ab 1986 und das zweite Kapitel Graffiti Geschichte wird geschrieben. Als BANDO, SHOE und MODE2 Mitte der Achtziger anfingen in Städte wie München oder Kopenhagen zu reisen, änderte das alles. Bezogen auf Stylewriting und die Herangehensweisen. Ein wichtige Epoche für die Entwicklung des europäischen Stils, der teilweise heute noch zu erkennen ist.

In der ersten Staffel erfährt man nicht viel über Berlin oder auch Dortmund, warum finden die beiden doch sehr wichtigen deutschen Graffiti Metropolen so wenig Erwähnung? Eben auch weil München oder Hamburg im Verhältnis dazu sehr präsent sind.

Das hat chronologische Gründe. Wie bereits erwähnt, wir arbeiten uns jeweils nach Jahren und, noch wichtiger, nach Geschichten vor, die wir erzählen und darstellen können. In München beispielsweise konnten wir mit STONE sprechen, der zusammen mit NEON und LOOMIT wichtige Zeitzeugen der ersten deutschen Graffiti Writing Generation stellte. Die frühen Schnittstellen mit SHOE und BANDO, WILD STYLE, die Klassenfahrt von STONE und NEON nach Berlin im Jahr 1986 mit der wahrscheinlich ersten besprühten U-Bahn der Hauptstadt, die frühe New York Reise von NEON, alles wichtige Meilensteine. Das wollten wir erzählen um zu zeigen wie langsam und unter welchen Umständen das damals alles gewachsen ist. Uns geht es bei RISE OF GRAFFITI WRITING gar nicht um DEN ersten Sprüher, oder das vielleicht in Buxtehude schon jemand noch eher die Sprühdose in der Hand hatte. Wichtig sind uns Schlüsselfiguren und Schlüsselmomente, die dazu geführt haben, das Graffiti in Europa zu dem geworden ist, wie wir es heute kennen.

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In Berlin gab es in den 1983ern auch eine frühe Graffitiszene, aber die hat im Vergleich zu München oder Hamburg nicht annähernd die Relevanz. Graffiti in Berlin hat sehr sehr starke Pioniere, Protagonisten und Schlüsselmomente, die wir aber alle erst ab Ende der Achtziger und vor allem ab den frühen 1990ern erzählen können. Das Graffiti in Berlin erst recht spät gezündet und sich zur europäischen Hochburg entwickelt hat, liegt an vielen Faktoren; die geografische Isolation vor der politischen Wende zum Beispiel. Aber in den frühen 1990ern sind wir noch gar nicht in unserem Strang, auf unserer Agenda stehen momentan die starken Bewegungen in den Achtzigern: Kopenhagen, Paris, Stockholm, Helsinki, Wien, Zürich, Oslo, Dortmund, Hamburg, Rom, Barcelona. Erst wenn wir das dokumentiert und erzählt haben, können wir uns der Berlin Story widmen, so wie beispielsweise auch Graffiti in Hamburg zeitgleich explodierte.

Je weiter wir uns mit unserer Serie auf die 1990er bewegen, desto komplexer wird die Erzählung. Die Abstände zwischen dem jeweiligen Erzählstrang der kommenden Staffeln werden kürzer. Die Graffitibewegung wird immer größer ab 1985, das lückenlos zu erzählen wird schwierig aber wir werden es versuchen.

Wie geht es jetzt in der zweiten Staffel weiter?

Der Fokus liegt in dieser Staffel auf Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt stand ab 1984 stark unter dem Einfluss des Buches SUBWAY ART. Dänischen Kids wurde damals faktisch das Comicbuch in die Wiege gelegt, das vermischt mit dem Einfluss der New Yorker Subway Art Bewegung brachte eine sehr starke erste und zweite Graffiti Generation hervor, die ja teilweise heute noch hochaktiv ist. Das ist einzigartig in Europa, RENS, BATES, SWET oder SABE, alle aus der ersten und zweiten Graffiti Generation der 1984er bis 1986er Jahre, denken auch im Jahr 2018 noch nicht ans Aufhören. Warum das so ist hat viele Gründe. In den ersten Episoden der zweiten Staffel geht es aber um drei New Yorker Pioniere, die Kopenhagen und auch viele weitere Städte in Europa sehr stark beeinflussten: LEE, BLADE und SEEN. Teilweise wie erwähnt über SUBWAY ART und SEEN´s Rolle im Film STYLE WARS.

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In den weiteren Episoden kommen dann neben BATES, RENS, SEK, CMP, JENS PETER BRASK und SWET auch FREEZ zu Wort, der als der erste Graffiti King Dänemarks bezeichnet wird, zu recht wie die Episode mit ihm zeigt. Wie schon in der ersten Staffel erzählen wir die Geschichte der dänischen Graffitibewegung ab dem Jahr 1984 bis 1990. Alles was danach in Kopenhagen, Aalborg oder Naestved passiert ist, wird in einer der zukünftigen Staffeln fortgesetzt. Eine weitere Episode der zweiten Staffel widmet sich der Geschichte von BLEK LE RAT, einem Schablonensprüher aus Paris, der durch einen USA Besuch im Jahr 1973 von der New Yorker Graffitibewegung inspiriert wurde, es aber im Vergleich zu BANDO oder SHOE völlig anders interpretierte. Und das passierte, bevor FUTURA2000 das erste Mal in Paris war. Ein weiterer Pfad, den wir sehr spannend finden, auch wenn er sich in eine andere Richtung entwickelt. Auch das gehört dazu, wie wir heute wissen. Nur kurz zuvor und faktisch zeitgleich ist ja der bekannte Break Train von FUTURA2000 entstanden, ein Quantensprung innerhalb der Graffitibewegung.

Wie kann man sich die Produktion der Doku Serie vorstellen? Ruft man einfach an bei den Protagonisten und die geben bereitwillig Interviews?

Nein so ist es nicht, aber wenn wir dann tatsächlich im Interview sitzen, merkt man den Leuten an, wie stolz sie auf ihre Geschichte sind, und darauf ein Teil des Ganzen zu sein. Vielleicht spielen einige unserer Protagonisten heute nicht mehr die Rolle, die sie damals in den 1990ern noch für unsere Generation gespielt haben, aber wie lautet es immer so schön: „Wehret den Anfängen“, und das ist auch richtig so. Wenn ein Sprüher, der heute fast 50 Jahre ist, mit 17jährigen Wholecars malt oder Wildstyles kickt, die heute noch Teil des Fundaments der europäischen Graffitibewegung sind, sollte man da mal reinleuchten. Das ist schon einzigartig. Und wen interessiert, wer neben einigen wenigen hinter dem heute so präsenten skandinavischen Style steht, sollte RENS zuhören und sich mit ihm und seiner Geschichte mal beschäftigen.

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Welche Geschichte hat euch in den bisherigen Recherchen am meisten überrascht?

Naja, wie erwähnt, die Aktivitäten von YAKI KORNBLIT spielten eine viel größere Rolle als vorher angemommen. Es blieb ja nicht bei den Ausstellungen in seiner Amsterdamer Galerie um 1983. Es gab dann ab 1983 zahlreiche Galerien die sich auch für diese Kunstform interessierten. Darunter Galerien in München, Zürich oder Hannover. Sehr viele Werke aus YAKI´s Sammlung wurden in europäischen Museen ausgestellt. Darunter Arbeiten von LEE, QUIK, SEEN, BLADE und vielen mehr. Im Jahr 1984 beispielsweise gab es eine großangelegte Ausstellung im Museum Louisiana Kopenhagen. Mit Arbeiten von SEEN und BLADE, aus der Sammlung von YAKI KORNBLIT. Diese Ausstellung hat der junge RENS besucht, weil seine Mutter dort gearbeitet hat. RENS war also erst in dieser Ausstellung, bekam dann das Buch SUBWAY ART im gleichen Jahr, der Rest ist Geschichte. Aber die Story, wie FAB5FREDDY 1980 ins ZDF Headquarter in Mainz marschiert und ohne viel Papierkram 90.000 US Dollar klarmacht, um WILD STYLE zu produzieren, war schon beeindruckend. Es gibt viele kleine Geschichten, und besonders wenn wir in den kommenden Staffeln noch näher in Paris, Berlin, Skandinavien oder Italien hineinleuchten, wird einiges an spannenden Stories erzählt werden können.

Wer unterstützt euch bei den Recherchen?

In Bezug auf New York hatten wir redaktionell sehr viel Unterstützung von CARLO McCORMICK vom PAPER Magazine. MODE2 hat uns im Rahmen der England Episode sehr hilfreich vernetzt, auch für die Produktion der Paris Episode, die momentan läuft, spielt er eine entscheidende Rolle. Der Mann kann Dinge in seinem Kopf abrufen, an die sich kein Mensch mehr erinnern kann, auf den Tag genau. Er weiss sogar noch wie das Wetter an dem Tag war, als er SHOE an der Seine in Paris das erste Mal getroffen hat. Fragst Du BANDO oder SHOE, die wissen nicht mal mehr genau welches Jahr das war. Es brauch solche Leute wie MODE2, auch STONE oder DAIM waren und sind eine sehr große Hilfe in den Recherchen zu Graffiti in Deutschland. JENS PETER BRASK aus Kopenhagen, selbst Sprüher der zweiten Generation, hat uns mit Foto- und Videomaterial aus den frühen und späteren 1980ern unterstützt. LARS, der Host unserer Serie kommt ja selbst aus Kopenhagen und hat bereits Bücher wie WILL I GO TO HELL FOR THIS herausgegegen. Dieser “Heimvorteil” war für diese zweite Staffel ein dicker Bonus.

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Habt ihr euch ein Ziel gesetzt für die Serie, wird es ein Ende geben?

Schwierige Frage, denn wir stehen nach 16 Episoden immer noch im Jahr 1990 und haben die oben genannten Metropolen inklusive Berlin plus Osteuropa ja noch vor uns. Dann sollten wir ja auch nicht vergessen, das ab 1984 die Filme WILD STYLE oder STYLE WARS auch in Japan, Australien oder Brasilien gesehen wurde. Da ist auch viel passiert und im Laufe der Recherche sind wir da auf Geschichten gestossen, die unbedingt erzählt werden sollten. Und dann ist da ja noch das Heute, die Graffitibewegung erlebt momentan etwas, was den klassischen Wildstyle aussterben lässt, das Trainwriting komplett verändert, Social Media Plattformen verzerren alles und die Szene ist eigentlich gar keine Szene mehr. Seit einigen Jahren entstehen Geschichten, die wir wahrscheinlich erst in 5 oder 10 Jahren auserzählen können, Ende offen.

Vielen Dank für das Interview!

‘RISE OF GRAFFITI WRITING – FROM NEW YORK TO EUROPE’ – Trailer Staffel 02/2018

Links:

‘RISE OF GRAFFITI WRITING’ auf arte CREATIVE: arte.tv/riseofgraffiti
‘RISE OF GRAFFITI WRITING’ auf ILOVEGRAFFITI.DE: ilovegraffiti.de/riseofgraffiti
‘RISE OF GRAFFITI WRITING’ auf YOUTUBE: youtube.com/artecreative

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