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Titus, 15, besprüht einen Zug

Nachem die Backspin ja im Moment pausiert übernimmt der Spiegel mal die Rubrik “Writer Story”Ein Artikel aus dem heutigen Spiegel erzählt die Geschichte eines 15jährigen namens Titus (Name geändert).

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Titus, 15, besprüht einen Zug

Graffiti hatte Titus nur an Wänden hinterlassen, bis er mit zwei Freunden vermummt in ein S-Bahn-Depot einbrach. Vor Aufregung brachte der Schüler auf dem Zug nur verschmierte Linien zustande, einige Wochen später stand die Polizei vor der Tür. Inzwischen bedauert er die Tat.

“Die erste Kiste vergisst man nie. Ich erinnere mich noch so genau, als wäre es gestern gewesen. Wir waren zu dritt. Zwei Kumpels haben mich mitgenommen. Beide hatten schon mal eine S-Bahn verschönert. Als mich einer von ihnen fragte, ob ich beim nächsten Mal dabei sein wollte, sagte ich sofort ja.

Züge zu besprühen gilt unter Sprayern als Königsdisziplin. Die Gefahr, erwischt zu werden, ist viel größer als bei einer normalen Wand. Außerdem ist es anspruchsvoller, weil man auf einer glatteren Oberfläche malen muss. Das erfordert technisches Geschick, da die Farbe schneller verläuft.

Wir haben die Aktion vorher genau durchgeplant. Es hatte fast schon etwas Militärisches. Zunächst haben wir Skizzen der Bilder angefertigt. Weil wir in einer dunklen Umgebung mit vielen Büschen sprühen wollten, haben wir uns auch dunkel gekleidet.

Auf dem Weg zum Depot ging bei mir das Kribbeln los. Wir haben uns von der Hauptstraße in ein Gebüsch geschlagen und unsere Masken übergezogen. Von diesem Moment an konnte ich von meinen Kumpels nur noch die Augen sehen. Als wir die Sprühköpfe über die Dosen schraubten, merkte ich, wie sich das Adrenalin in meinem ganzen Körper ausbreitete.

Keine Meisterwerke, die Hände zitterten

Das Depot war nicht eingezäunt, aber von dichten Sträuchern umgeben. Als ich endlich aus dem Gebüsch krabbelte, tauchte einen Meter vor mir der Zug auf. Eine völlig neue Perspektive: Am Bahnsteig stand ich immer auf der Höhe von den Waggons. Jetzt sah ich die Räder, Achsen und Schienen. Ich hatte vorher keine Vorstellung davon gehabt, wie groß ein Zug ist. Das Teil kam mir riesig vor.

Wir setzten uns erst mal auf den Boden und beobachten das Depot. Von weitem sahen wir ein paar Arbeiter. Der Zug glänzte im schwachen, gelbroten Licht. In unregelmäßigen Abständen zischten die Bremsleitungen. Ab und zu wurde ein Klo abgepumpt. Ich bin ein paar Mal erschrocken zusammengezuckt.

Irgendwann sind wir an den Zug rangegangen. Ich bin ziemlich groß, aber als ich den Arm ausstreckte, reichte meine Hand nur bis zu den ersten zehn Zentimetern der Fensterscheibe. Wir hatten uns vorher überlegt, dass jeder vier Buchstaben, also seinen Namen malt. Ich zückte die erste Sprühdose für die Outlines. Meine Hände zitterten. Die ersten Linien habe ich total verrissen. Ich schaute die ganze Zeit nach links und rechts, weil ich Angst hatte, dass im Gebüsch ein Arbeiter hocken könnte, der uns beobachtet. Erst nach ein paar Minuten wurde ich ruhiger.

Wenn ich sprühe, gibt es nur noch mich und mein Bild und die Gefahr, erwischt zu werden. Alle anderen Probleme in meinem Leben sind ausgeblendet. Das ist schwer zu beschreiben. Man kann es eigentlich nur fühlen.

Ich wollte nur noch weg

Nach einer Viertelstunde waren wir fertig und haben unsere Graffiti fotografiert. Die Bilder sind unscharf und zeigen keine Meisterwerke. Ich hätte die Fotos längst gelöscht, wenn es nicht meine erste Kiste gewesen wäre.

Anschließend wollte ich nur noch weg. Während wir rannten, spürte ich ein Kribbeln in den Knien. Ich hatte Angst, dass uns jemand verfolgen könnte. Wir sind zum Bahnhof gelaufen und haben die S-Bahn genommen. Mir erschien das unvorsichtig. Ich wäre am liebsten nach Hause gejoggt. Die halbvollen Sprühdosen steckten in unseren Rucksäcken. Das war gefährlich und blöd.

In der S-Bahn wurde ich ruhiger. Als wir uns die Fotos anschauten, spürte ich den Triumph. Mir war egal, dass mein Bild nicht aussah wie auf der Skizze. Ich hatte es geschafft. Mit Bier und ein paar Joints haben wir den Abend ausklingen lassen. Es kam mir vor wie der erste Geburtstag, den man nur einmal im Leben hat.

Um sechs Uhr Morgens schlich ich mich zurück zu meinen Eltern ins Haus. Gott sei Dank haben meine Klamotten bei der Sprühaktion keine Farbe abbekommen. Meine Eltern haben erst mal nichts von meinem Hobby gemerkt. Das änderte sich allerdings, als ein paar Wochen später die Polizei vor unserer Tür stand.

Polizei beschlagnahmte die Schulhefte

Und das nicht nur einmal. Einmal haben sie sogar mein Zimmer durchsucht und meine kompletten Schulsachen mitgenommen. Sie wollten meine Handschrift mit Graffiti vergleichen, bei denen sie glaubten, dass ich sie gemalt habe. Das war nicht schön, weil sie dafür meine Eltern um sechs Uhr morgens aus dem Bett geholt haben.

Ich bin schon mehrmals erwischt und bestraft worden. Früher oder später trifft es jeden. Einmal gab es für mich 40 Sozialstunden, da habe ich Wände in einem Jugendheim gestrichen. Für die Reinigung eines Zuges musste ich 800 Euro bezahlen plus weitere 800 Euro für den Anwalt. Damit bin ich noch günstig davongekommen. Ich kenne Sprüher, die mussten schon Strafen von über 100.000 Euro bezahlen. Das sind Schulden fürs ganze Leben.

Mittlerweile ist mir klar geworden, dass durch das illegale Sprühen ein ziemlich großer finanzieller Schaden entsteht. Ich sprühe jetzt überwiegend legal für Menschen, die ihre Wohnungen und Häuserwände mit Graffiti verschönern wollen. Ansonsten achte ich darauf, dass ich nur noch an Orten sprühe, von denen ich glaube, dass es niemandem weh tut – zum Beispiel auf Autobahnbrücken und in alten, verlassenen Häusern, die kurz vorm Abriss stehen.”

Name geändert, aufgezeichnet von Sonja Salzburger

Artikel: Spiegel.de
Foto: Spiegel.de