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Hanois artige Rebellen

Der DW Artikel “Hanois artige Rebellen” von Mathias Bölinger über Duy, Son und Hoang aus dem Vietnam

McDonalds oder Starbucks sind noch nicht vorgedrungen nach Hanoi. Doch auch für junge Vietnamesen ist die amerikanische Popkultur attraktiv. Auch wenn die Gesellschaft nicht alles goutiert – zum Beispiel Graffiti.

Die Kathedrale gegenüber haben die Franzosen gebaut. Auf japanischen Mopeds brausen die Hanoier an ihr vorbei in die engen Gassen mit den schmalen Häusern, die typisch sind für Vietnam. Doch was Duy, Son und Hoang in diese asiatische Stadt mit dem kolonialen Charme bringen wollen, ist ein Hauch von Bronx – sie sind Graffitkünstler. „Wir wollen zeigen, dass junge Vietnamesen auch können, was westliche Jugendliche können“, sagt Duy.



Kunst statt Kampf

Sie sitzen in einem kleinen Cafe in der Altstadt von Hanoi und nippen an ihrer Cola. Duy trägt weite Klamotten und eine schwarze Kappe, Sons Arme bedecken großflächige Tatoos, in seine kurz geschorenen Haare ist seitlich ein Muster einrasiert. Duy und Son gehören der Gang S5 an. Das steht für „star, success, smile, simple, strong“ – ein Kunstkonzept, keine Kampfparole. S5 wollen Graffiti in Vietnam gesellschaftsfähig machen. Zum ersten Mal mit der Kunstform in Berührung gekommen sei er durch ein Musikvideo, in dem „etwas sehr interessantes im Hintergrund“ zu sehen gewesen sei. „Ich war neugierig und wollte wissen, was das ist. Ich habe dann nachgeforscht.“ Im Internet habe er dann herausgefunden, was er dort gesehen hatte: Graffiti. Seitdem ließ ihn die Wandkunst nicht mehr los.

Man muss ein bisschen fahren, um die Graffitis von S5 bewundern zu dürfen. Neben der Ringstraße, Hanois Stadtautobahn, prangen Tintenfische, Schriftzüge und Blumen. Weit draußen in den Vororten auf der anderen Seite des Flusses haben weitere Sprayer ihre Spuren hinterlassen – traurige Gesichter, Menschen, die auf einer Mauer sitzen. Duy hat die Konkurrenz gleich mitgebracht. Einträchtig sitzen er und Hoang nebeneinander. Hoang gehört Hanois zweiter Graffiti-Gruppe an. Immerhin hat sie einen verwegeneren Namen: „Crime“ nennt sie sich. Doch auch dahinter verbergen sich weder Straßenkämpfer noch Kleinkriminelle. „Unsere Motive unterscheiden sich“, erklärt Hoang. „Duys Gruppe ist mehr auf Naturmotive spezialisiert, während wir vor allem Menschen zeigen – Porträts sind unsere Spezialität.“

Straßenszenen aus dem alten Vietnam

Dass die Motive so brav geraten, ist auch Kalkül der einsamen Kämpfer für Street Art amerikanischer Herkunft. „Wir versuchen, die moderne Kunstform mit Elementen der vietnamesischen Kunst zu verbinden“, sagt Duy. „Zum Beispiel sprühen wir Straßenszenen aus dem alten Vietnam an die Wand.“ Über die Motive wolle man die Sympathie der Öffentlichkeit gewinnen.

Also sprühen sie keine Straßenhelden mit metallblitzenden Knarren, keine Hommage an Straßenleben, Drogen und Gewalt, die ohnehin nicht wirklich ihrer Realität entsprechen. Die Geschichten aus Amerika von gewalttätigen Gangs, die sich wegen übersprühten Graffitis gegenseitig umbringen, die kennen sie alle. Natürlich wissen sie, dass Graffiti einst als Kunstform der Ausgestoßenen in den Gettos der Großstädte entstand. Nur sei Hanoi eben nicht New York, sagt Duy. In der vietnamesischen Graffiti-Szene tummelten sich vor allem Mittelschichtkids. Schließlich sei es ja auch nicht billig, so ein Graffiti an die Wand zu sprühen.

Duy studiert Kunst, Hoang Architektur und jobbt nebenbei in Architektenbüros. Son will in wenigen Tagen ein Tatoo-Studio eröffnen. Er hat gerade ein Journalistikstudium abgebrochen, weil er die journalistische Freiheit vermisst. Im sozialistischen Vietnam untersteht die Presse noch immer einer strengen Zensur. Das Graffiti-Sprühen biete ihm mehr Freiheiten. Aber Graffiti-als politische Protestform? Nein, das dann doch nicht. „Wir wissen, dass das illegal wäre und wollen keinen Ärger provozieren“, sagt er

Ho Chi Minh als Provokation

Meistens sprühen die Jungs im Auftrag von Event-Agenturen oder Streetwear-Shops, die durch die neue Kunstform ein jugendliches Flair erreichen wollen. Nur selten ziehen sie los, um nachts wild zu sprühen und wählen dann vorsichtig Flächen aus, von denen sie glauben, dass ihre Graffitis hier nicht allzuviel Empörung provozieren. Son erzählt, wie er einmal beim Sprühen von der Polizei erwischt wurde. „Meine Verwandten mussten auf die Polizeistation kommen und den Polizisten erklären, ich sei Auslandsvietnamese und kenne das Gesetz nicht so gut. Das hat funktioniert, sie haben mich laufenlassen.“

Jugendliche Rebellion, Aufbegehren gegen Konventionen, die Provokation der Staatsmacht – im konservativen Vietnam kennt man das kaum. Die Gesellschaft nehme Graffiti entweder gar nicht oder als unwürdiges Geschmiere war, klagt Hoang. Und der Staat habe schon gar kein Verständnis. „Selbst wenn wir ein Porträt Ho Chi Minhs an die Wand sprühen würden, würden wir noch Probleme bekommen“, sagt er. Irgendwie steckt für Vietnam dann doch einfach zu viel Bronx in den Graffitis.

Autor: Mathias Bölinger
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