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Die Freiburger Graffitiszene

Kai Hockenjos´ Text “Ein Streifzug durch die Freiburger Graffitiszene” dürfte für unsere Leser aus dem Breisgau von Interesse sein.Eine Chronik aus seiner Sicht, vor einigen Jahren veröffentlicht in diesem PDF. Unten findet sich noch eine Writer Story aus Freiburg ebenfalls aufgezeichnet von Kai Hockenjos.

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Respect – Ein Streifzug durch die Freiburger Graffitiszene

Freiburger Fassaden blieben bis Mitte der 1990er Jahre von Farbe verschont, dann war auch hier der Vormarsch der Graffiti-Kultur nicht zu stoppen. Den Anfang besorgen die Berliner Writer, die aus der Hauptstadt in die Breisgau-Metropole immigrierten und den Alemannen zeigten, was Großstadt bedeutet. Bunte Farbe! Die ersten Graffiti-Crews bildeten sich 1996/1997 und hießen FSB, CB, PLK (Psychisch Labile Kinder) und JNR (Jump‘n’Run). Aufgrund fehlender städtischer Freiflächen (Hall of Fame), bewegte sich die gesamte Szene in der Illegalität. Die Bürger reagierten verwirrt auf die „Schmierereien“, besonders die schönen alten Häuser in der Wiehre hatten unter dem Getagge zu leiden – der Aufschrei war groß. Mittlerweile hat sich die Situation etwas beruhigt: Auf Initiative von Junges Freiburg und nach drei Jahren zähen Ringens beschloss der Gemeinderat vergangenes Jahr, den Graffiti- Künstlern 14 freie Flächen in unterschiedlichen Stadtteilen zuzuweisen, die legal bemalt werden dürfen. „Illegales Graffiti ist eine Sachbeschädigung“, sagt Polizeihauptmeister Wolfgang Kittel von der Freiburger Graffiti-Ermittlungsgruppe. Der Sachschaden bei 750 angezeigten Straftaten lag 2003 bei rund 120. 000 Euro. Aufgrund der freien Flächen sind die illegalen Schmierereien etwas zurückgegangen. Die illegale Szene schätzt Kittel auf 40 bis 50 Sprayer zwischen 14 und 19 Jahren. Die Szene selbst geht von fast 100 Freiburger Sprayern aus, wobei der harte Kern sich auf 30beschränkt. „Es gibt Leute, die fast nur Streetbombing machen, viele malen nur legal, einige malen nur Züge. Die große Graffiti-Szene ist in vereinzelte Gruppierungen geteilt, für den Außenstehenden fast nicht zu durchschauen“, sagt der langjährige Maler COEK vonder Freiburger 197-Crew. Eine Crew-Mitgliedschaft strebt jeder an. Crews sind Freundeskreis und Familie zugleich. Die 197er entstand aus einer ursprünglich illegalen Crew, ist aber mittlerweile komplett legal und zählt zu den bekanntesten in Freiburg. Sie kämpft dafür, „dass Graffiti eine Plattform gegeben wird“, wie im 197-Café, das jeden Donnerstag zum szenetypischen Corner im Jugendkulturdenkmal „Z“ geworden ist. Aufwändige Graffiti-Arbeiten liefert vor allem die PMZ-Crew ab, die durch ihre komplexen Wände besticht. „PMZ hatte letztes Jahr über sechzig fette Konzeptwände, die machen mit die besten Sachen in Freiburg“, so 197-Member ATEM im Gespräch mit chilli. 197, GBR, WAF (Writer Asyl Freiburg) und PMZ bilden den Kern der legal agierenden Crews. Zur illegalen Szene zählen IR, UI (Unstop Illness), ONS (One Night Stand), BSB, DHW, ZFS (Zeigefingersport) AKM und JNR (Jump’n’Run). „Der Reiz des Illegalen ist Fame und Anerkennung, aber die besondere Rolle spielt die Grenzerfahrung. Wenn Du nachts ins Bahndepot einsteigst und Züge malst, erlebst du die abgefahrensten Stories“, sagt ein Anonymus. Momentan boomt Graffiti „und viele Kids springen mit auf den Zug, taggen wie blöd und sorgen dafür, dass Graffiti wieder durch den Dreck gezogen wird“, kritisiert COEK. Hinter Graffiti stecke weit mehr „als nur Vandalismus und Schmiererei, man muss es tiefer betrachten, es ist ein Ventil, eine Attitüde“. Ernsthafte Graffiti-Künstler würden nie Friedhofswände besprühen oder das Freiburger Münster, wie es „dieser Trottel“, so ATEM, im vergangenen Jahr gemacht hat. „Der wollte nur auffallen mit seinem hässlichen Bombing. Zwei Tage später hatte er den Artikel in der Zeitung und wir im Endeffekt den Schaden, weil es auf die gesamte Szene zurückfällt“, erbost sich COEK. Solche Aktionen sind in der Szene gar nicht gut angesehen, „es geht zwar um Fame, aber auch um Respekt!“

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Writerstory

„Züge zu malen ist die Königsklasse! Früher war das kein Problem, da stand ich am Bahnhof und hab mit den Bahnarbeitern gelabert und ihnen Informationen entlockt. Heute ist es viel schwieriger. Private Sicherheitsdienste oder BGS-Beamte patrouillieren nachts entlang der Gleise und warten nur darauf, jemanden zu schnappen. In Italien schießt die Polizei sogar auf dich! So schlimm ist es hier glücklicherweise noch nicht. Am hilfreichsten sind die Kursbücher der Deutschen Bahn, da sind alle Strecken und Züge aufgelistet und man kann sich informieren, wo welcher Zug nachts steht und am anderen Tag fährt. Ich habe mir einmal ganz Baden-Württemberg vorgenommen und rund 50 Zugdepots auswendig gelernt. Es ist wie eine Sucht. Wir Zug-Maler sind perfekt vorbereitet, wir checken alles. Wir observieren die Bahngelände im Vorfeld, wissen wer wann Dienstschluss hat, der BGS-Beamte Pause macht oder auf den Topf muss. Lichtschranken werden mit Hilfe von Spiegeln oder Reflektoren überwunden. Der Aufwand ist immens, aber man muss hinter das System kommen. In fremden Städten bekommt man Infos von den örtlichen Malern. Zugmaler unter sich sind ein riesiges organisiertes Netzwerk mit täglichem Austausch. Wenn du fähig bist, bekommst du überall Kontakt. Kannst du nicht sprühen, kommst du nirgendwo rein, null Chance! Ich möchte Aufmerksamkeit erregen, es freut mich, wenn über mein Piece geredet wird. Ich habe mal in Freiburg einen Zug gemacht mit „JUNGE NUTTEN RIECHEN SAHNIG FRUCHTIG“ über den ganzen Waggon gesprüht. Purer Unsinn, klar, aber mit sexistischem Inhalt erregt man Aufsehen. Die Message dabei war: Freiburg soll mal die Augen aufmachen, es gibt mehr als grauen Alltag! Ich stehe dann am anderen Morgen am Bahnhof und checke die Reaktion, ich freue mich, wenn jemand lacht und Leute es cool finden oder ne Oma meckert. Das sind Erlebnisse, die nur wir Sprayer haben.“

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Fotos: Streetfiles/Flickr
Freiburg Graffiti auf Streetfiles: hier
Text von: Chilli-Freiburg.de