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WERTICAL Interview mit HERAKUT [DEUTSCH]

Das WERTICAL Magazin hat sich mit Hera & Akut (Herakut) im Atelier in Schmalkalden (Thüringen) unterhalten. Das englische Interview gibts hier. Das WERTICAL Team hat uns freundlicherweise die deutsche Übersetzung zur Verfügung gestellt, jump!

Jasmin Siddiqui ist 31 Jahre alt, wohnt in Heidelberg und sagt, sie sei Grafikdesignerin, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wird. Aus sympathischer Bescheidenheit heraus vermeidet Jasmin es, sich als Künstlerin zu bezeichnen. Dabei ist sie genau das. Falk Lehmann wohnt in München, ist 34 Jahre alt, gleicher weise bescheiden und ebenfalls Künstler. Er arbeitet mit Jasmin zusammen. Sie kommen ursprünglich beide aus dem Graffiti-Bereich und sind mittlerweile etablierte Größen in der Kunstwelt. Ihre Pseudonyme haben sie beibehalten. Falk nennt sich „Akut“, Jasmin „Hera“, und gemeinsam sind sie „Herakut“. Genauso, wie ihre Namen eins ergeben, lassen die beiden ihre konträren Stile und Geschmäcker verschmelzen.

Jasmin und Falk meinen, es war so vorbestimmt, dass sie sich 2004 während eines Events in Spanien kennengelernt haben. Sie saßen damals auf einem Gerüst und malten gemeinsam an einer Wand, als sie das erste Mal ins Gespräch kamen. Seitdem hat sich nicht nur eine unzertrennliche Freundschaft entwickelt, sondern auch ein gemeinsamer Stil, der sich aus zwei individuellen Handschriften zusammensetzt. Neben der Wandmalerei zeigen Herakut fiktive und dennoch realistisch wirkende Bilder in Galerien. Eine Ausstellungseröffnung jagt die nächste. Der Terminplan ist voll: Los Angeles, San Francisco, New York, London, Bristol und Schmalkalden.

Schmalkalden ist – so steht es auf der stadteigenen Website – „der Urlaubsort im Grünen Herzen Deutschland“ und der Heimatort von Akut. Er ist hier groß geworden; in dem Haus, das seine Großeltern nach dem Krieg eigenhändig wieder aufgebaut haben und in dem sie heute noch wohnen. Im Wohnzimmer ist ein kleiner Indoor-Teich angelegt, in dem ein paar Goldfische ihre Runden drehen. Die Tischchen und Kommoden sind der Jahreszeit entsprechend dekoriert. Neben Kinderfotos hängen alte Bilder von Herakut – Erinnerungen an die ersten Schritte.

Seitdem die Großmutter verstorben ist und Akut und sein älterer Bruder ausgezogen sind, haben Frau und Herr Lehmann eine Menge Platz. Das komplette Erdgeschoss ist mittlerweile zum Studio umfunktioniert. Jasmin und Falk nutzen die Räumlichkeiten, um an ihren Bildern zu arbeiten. Sie reisen dann beide für ein paar Tage in die 20 000-Einwohner-Stadt im Thüringer Wald und treffen sich hier, um ohne jegliche Ablenkung malen zu können. In dieser Zeit verbannen sie alles Alltägliche.

Falks Elternhaus in Schmalkalden ist die Herakut-„Factory“. Morgens sitzen sie in der Küche und trinken gemeinsam ihren Kaffee, blättern durch die Schmalkalder Tageszeitung, lesen das Horoskop, legen eins als Motto des Tages fest, lösen das Kreuzworträtsel und besprechen die nächsten Vorgehensweisen an ihren Bildern. Auch mit Wertical trinken Herakut einen Kaffee, bevor es ins Studio geht und wir mit ihnen über Inspiration, Urban Art und Jet-Set-Leben sprechen.


Wertical: Künstler geben oft an, sich von großen Städten inspirieren zu lassen. Ihr kommt zum Arbeiten nach Schmalkalden. Seht ihr das Großstadtleben nicht unbedingt als Quelle eurer Inspiration an?

Hera: Städte sind für mich eher Ablenkung als produktive Inspiration. Unsere Ideen resultieren aus generellen Themen, die überall aufgenommen werden können – egal, ob der Ort nun groß oder klein ist. Im gemeinsamen Gespräch mit Akut wachsen die Themen zu Ideen heran und werden schließlich zu Bildinhalten.

WE: Es musste sich sicherlich erst einmal über die Jahre hinweg einspielen, dass eure Ideen visuell auf einen Nenner kommen.

Hera: Nein, eigentlich nicht, da es zu Beginn tatsächlich gar nicht um das Bild an sich geht.

WE: Sondern um die Message, die ihr transportieren wollt?

Hera: Genau. Es geht immer um grundsätzliche Themen, und das Fazit unserer Unterhaltung ist dann das Aha-Erlebnis und der Arbeitstitel der nächsten Session.

WE: Würdet ihr sagen, dass eure beiden Stile mit der Zeit immer weiter miteinander verschmelzen?

Akut: Wir haben unser erstes Buch „Perfect Merge“ genannt, weil wir damals schon festgestellt haben, dass wir auf unseren Leinwand- und Wandarbeiten so nah zusammengekommen sind, dass uns nichts mehr auseinander reißen kann.
Hera: Akut hatte das schon mal ganz gut beschrieben. Er meinte, Hera baut das Skelett und Akut setzt das Fleisch darauf. Und das stimmt technisch tatsächlich. Ich ziehe die Umrisse, die er zum Leben erweckt.

WE: Es ist sicherlich nicht immer einfach, zu zweit an einer Sache zu arbeiten. Fühlt sich eure Arbeitsverteilung für euch beide gut an?
Akut: Uns geht es darum, unser Können zu nutzen.
Hera: Das ist der Grund aus dem wir uns nicht auf die Füße treten. Wir wissen, wo unsere Kompetenzen aufhören und wo der andere spezialisiert ist. Ich bin zum Beispiel überhaupt kein Farbenmensch. Für mich könnte alles schwarz-weiß sein und ich wäre zufrieden. Farben sind Akuts Spezialität. Er kann zig Hauttöne unterscheiden.

WE: Was ist aktuell das Thema oder die Idee, die ihr morgendlich diskutiert?
Hera: Momentan sind wir schon über den Schritt der Ideenfindung hinaus und mitten im Prozess.
Akut: Es ist Timing angesagt. Wir bereiten uns gerade auf vier Shows vor: London, Bristol, New York und San Francisco. Da wir zu zweit nicht an einer Leinwand arbeiten können, besprechen wir nun Logistisches und vereinbaren, in welcher Reihenfolge wir jeweils an welchem Bild arbeiten.
Hera: Und sobald Leinwände fertig gestellt sind, beginnt der Prozess wieder von vorne.

WE: Eure Ausstellungen haben Titel – die spiegeln doch sicherlich auch wider, was euch beschäftigt.
Hera: Das stimmt. Eine der aktuellen Ausstellungen heißt beispielsweise „Loving The Exiled“. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Isolation. Sogar heute sind wir in gewisser Weise Außenseiter, in erster Linie aufgrund unseres nomadenhaften Lebensstils. Wir haben zwar Familien und beide auch feste Partner, aber die sehen wir sehr selten. Natürlich ist es schön, dass wir so viel reisen, so viel sehen und so viel geboten bekommen, aber im Endeffekt ist man mit den Eindrücken alleine.

WE: Mit dem Jet-Set-Lifestyle, den viele sicherlich erstrebenswert finden, wollt ihr eurem Leben also keinen Inhalt geben?
Hera: Auf gar keinen Fall.

WE: Ihr bekommt viel positives Feedback, Aufmerksamkeit und Respekt von Käufern, den Medien und Galerien. Urban Art ist gerade in aller Munde, Urban Art ist Hype. Ihr seid Teil dieser Bewegung und zu einer Zeit aktiv, in die eure Bilder perfekt passen. Habt ihr Angst davor, dass dieser Hype ganz plötzlich vorbei ist, ihr sozusagen von einem Exil ins nächste katapultiert und vom erfolgreichen zum erfolglosen Außenseiter werden könntet?

Akut: Der eigentliche Street Art Hype ist ja schon zu Beginn der Wirtschaftskrise weggebrochen. Zu dem Zeitpunkt waren wir relativ präsent mit unserem Londoner Galeristen und haben miterleben müssen, wie für viele Leute die Künstlerkarriere ein jähes Ende genommen hat.
Hera: Das war 2008. Jetzt haben wir 2012 und bei uns geht es zum Glück immer noch weiter.

WE: Würdet ihr euch selbst überhaupt als Urban- oder Street-Artist beschreiben?

Hera: Nein, wir haben angefangen zu arbeiten, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Wir haben es uns nicht ausgesucht, dass wir mit unseren Arbeiten in diese Kategorie gesteckt werden. Eigentlich ist es ja auch egal, wie die Kategorisierung lautet, solange wir wissen, dass es bei unseren Arbeiten um uns geht und nicht um ein Genre.

WE: Man könnte höchstens behaupten, dass ihr euch aus dem Genre Street Art hinaus zu etwas Eigenständigem, zu Herakut, entwickelt habt.

Hera: Eigentlich auch nicht. Wir kommen beide aus dem Graffiti.

WE: Wie im Graffiti benutzt ihr in euren Bildern klare Kommunikationsmittel. Legt ihr Wert darauf, dass eure Bilder so interpretiert werden, wie ihr sie meint?

Hera: Das wird sowieso nicht passieren, was aber auch in Ordnung ist. Jeder sieht Dinge durch seinen individuellen Filter.
Akut: Aber es ist schon so, dass wir formal stark sind, sich viele erst nur von der Ästhetik angesprochen fühlen, sich dann aber die Zeit nehmen die Bilder zu untersuchen und zu lesen versuchen, was dahintersteckt.
Hera: Trotzdem es ist eigentlich unmöglich, dass jemand die Bilder so liest, wie wir sie sozusagen geschrieben haben. Jeder hat andere Situationen erlebt, die er in Gedanken verarbeitet. Wir nutzen jedes verfügbare Mittel, um so viel wie möglich zu kommunizieren und dem Betrachter mit auf den Weg zu geben. Deswegen auch die Schrift im Bild.

WE: Die Frauen und jungen Mädchen, die ihr darstellt, vermitteln eine melancholische Stimmung. Sie scheinen alleine zu sein und auf der Suche nach Schutz. Der Betrachter assoziiert mit diesem Ausdruck schlimme Erlebnisse, vielleicht eine Misshandlung oder ein Leben auf dem Abstellgleis.

Hera: Das stimmt. Es gibt so viel Gefährliches für Frauen, oder eher gesagt, für alles Schwache. Es gibt leider keinen wirklichen Schutz für diejenigen, die ihn benötigen. Das wurde mir schon als Kind bewusst, und das ist immer noch etwas, das mich beschäftigt. Wir stellen zum Beispiel auch oft Rehe dar. Was macht das Reh, wenn es sich in Gefahr sieht? Es setzt sich hin und bewegt sich nicht mehr. Es kämpft nicht oder flieht, es bleibt einfach still sitzen.

WE: Es ist sozusagen ein Bild für die Unschuld.

Hera: Genau. Und im selben Augenblick wird es vom Mähdrescher zerhäckselt. Es ist leider so, dass es immer die Schwachen trifft. Alle Rehe, alles Zarte, was wir darstellen, ist Synonym für Unschuld.

WE: Für Schwäche und Sensibilität?

Hera: Und um deutlich zu machen, dass von den Schwachen keine Gefahr ausgeht, aber sie trotzdem diejenigen sind, die bedroht werden. Das ist einfach unfair. Ich werde, ehrlich gesagt, schon traurig über tote Tiere am Straßenrand. Ganz zu Schweigen von den Berichten über die Opfer der vielen Krisenherde überall. Wir sind alle gleichberechtigt, und trotzdem trifft es manche härter als andere. Ich würde sagen, ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und den trage ich nach Außen. Im Leben und auch in unseren Herakut-Bildern.

WE: Und Kritik an unserer Ellbogengesellschaft, in der jeder nur auf sich selbst achtet?

Hera: Ja, es ist eben nicht alles gut. Das zeigt auch eine unserer neuen Arbeiten „The Warrior Godess“. Sie stellt eine Frau dar, die auf den ersten Blick perfekt aussieht, aber ihr fehlt das linke untere Bein. Als Göttin des Kampfes muss sie nun mal auch Opfer in Kauf nehmen. Krieg heißt Verlust – auch für seine Sieger. Niemand ist sich gerne darüber bewusst. In unserem Bild nutzen wir die Schönheit als Mittel zum Zweck – der Blick fällt erst auf das scheinbar Perfekte, mit dem man automatisch sympathisiert, denn jeder liebt Harmonie. Und dann schieben wir die Botschaft unter. Wir nutzen die offenen Kanäle für Ästhetik zur Verabreichung einer unschönen Botschaft. Wie Würfelzucker mit einem Tropfen bittere Medizin.

Interview: WERTICAL
Fotos: WERTICAL
Herakut: Website
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