Archiv

KOLUMNE – EL schreibt über Graffiti

Im Internet schreibt EL ab und an relativ unregelmäßig interessante Dinge hier in seinem Blog. In den letzten Monaten ist zwar wenig passiert dort aber er hat mal wieder etwas für seine Kolumne auf rebel:art verfasst. Eine Graffiti Kolumne in der dem Herrn zugegeben zeitweise nur schwierig zu folgen ist es aber durchaus mal zur Diskussion gestellt werden kann was da vom Stapel gelassen wird. Reingelesen in die ersten 5 Beiträge nach dem Jump, bei Bedarf weiterlesen…

El schreibt über Graffiti #1: Stylewriting und die globale soziale Plastik

Ich kam ein bisschen zu spät, aber das hat für diesen Text den Vorteil, dass er sich nur zur Hälfte aus meiner Teilnahme speist, und zur anderen Hälfte aus den Gesprächen über den Vortrag (SCUM/DER TOTE GENERAL – STYLEWRITING UND DIE GLOBALE SOZIALE PLASTIK/Vandal Café). Ich komme also abgehetzt im Cafe Wendel an und sehe diesen toll verkleideten Typen, vor einer Graffiti-Wand. Der erzählt, dass die Gewalt der Welt in künstlerische Konflikte umgeleitet werden muss. Dass er ein bisschen wie ein Waldorf-Lehrer klingt, liegt vielleicht auch daran, dass er selbst auf einer Waldorfschule war. Im Verlauf des Vortrages macht er sich auch zum Verfechter von Waldorfpädagogik und der politischen Forderung des bedingungslosen Grundeinkommens. Für mich war das fast so etwas wie ein trauriges Fazit des Vortrags: Graffiti als Gewalttherapie und Grundeinkommen als Optimierung der Gesellschaft. Bei der Vorstellung der Kanalisierung von Konflikten geht es in etwa darum, nicht mehr, wie in dunklen Zeiten qua Geburt oder gewonnener kriegerischer Auseinandersetzung ein König zu werden, sondern heute wird einfach geübt und geübt und am Ende bist du King. Zum Beispiel in der Buchstabengestaltung. Damit das nicht klingt wie die Sozialisierungsprogramme des legalen Writings, wo die kriminellen Sprüher ermuntert werden, ihr Talent in bare Münze zu verwandeln, zum Beispiel durch Malaufträge oder Gebrauchsgrafik, macht er es rein zum therapeutischen Programm, ohne lukrative Aussichten. Ganz als bräuchte die schwer erklärbare und so oft unsichtbare Gewalt nur endlich einen sichtbaren Zweck um sich in Wohlgefallen aufzulösen. (weiterlesen auf rebel:art)

El schreibt über Graffiti #2: Alleine

Es ist eigentlich gar nicht nahe liegend, dass Graffiti, als wandverhafteter Ausdruck, für den Kunstmarkt taugt. Damien Hirst machte aus seinem Haigraffiti, das jetzt ein Edelclubhaus schmückt, eine Zweckentfremdung der Wissenschaft: einen eingelegten Hai, als Konzeptkunst. Die Stuckisten sagten, er hat sogar das Konzept dieser Konzeptkunst geklaut, ich weiß es nicht. Hätte er weiter Tiere an Wände gemalt, hätte er diesen vielleicht ein sozialkritisches Konzept geben sollen, vielleicht Ratten, wie Blek le Rat und Banksy, und vielleicht, mit ganz viel Kontinuität, wäre daraus tatsächlich vermarktbare Wandkunst geworden, die Leute aus der Wand schneiden und verkaufen. Was die Wandbemaler nicht wollen, und was ihnen konkret auch nichts bringt, denn der Kunstraub ist der Gegenschlag des Marktes gegen diese so freie Kunst. Andere erklärten dann 2008 die letzte Stencil-Show, aus und vorbei, angesichts der Vereinnahmung der Form durch die Werbebranche. Doch wenn man mal nicht über die Großen und die Plakativen spekuliert, sondern sich selbst fragt, wie diese triebhafte Praxis sich in geregelte Formen einhegt, dann kommt nicht große Geschichtsschreibung heraus, sondern diese kleine Geschichte: Alleine. Herum gehen, Schreiben, Drucken, Kleben. Diese Formen zu finden, herauszufinden, dass es etwas gibt, das zu dem passt was man will. Und auf eine wuchernde, offene Bewegung zu stoßen, selbst unsichtbar, sichtbar in ihren Zeichen. Selbst unsichtbar zu werden, im Dunkeln keine Angst mehr zu haben, weil man selbst dunkel wird, aus dem Dunkel hinaussieht. Am Tag Sehen lernen, wieder alleine sein, aber in einer Menge, zu wissen was man gerade tut, fokussieren. Und betrachten können, fokussieren, auf das was andere bewusst getan haben. Hinter einen Namen zurücktreten wie ins Dunkel zurücktreten. Das erste Mal in die vier hellen Wände einer Ausstellung. Beim Tun am Gästebuch betrachtet werden, angesprochen werden. Es verbindet sich. Dein eigenes Buch geben. Das Buch geht herum, es wird voll, Namen treffen Namen. (weiterlesen auf rebel:art)

El schreibt über Graffiti #3: Mythos Writing

Das Wort und die Buchstaben. Beim Schreiben der Buchstaben ging es schon auch um die Wörter, die sie bildeten. Aber die Wörter waren nicht als Begriffe gemeint, sondern als Namen, als Zeichen. Und oft eben um ein Name, der präsent sein sollte, in einem Milieu, in einer Stadt, überall. Einen Namen in die Stadt, an die Züge schreiben: ein Zeichen geben. Bei den Buchstaben der Ausdruck eines Stils. Sobald die Buchstaben zum Wort verschmolzen und von der zweiten Outline umrahmt sind, sind sie mehr als der Ausdruck des Stils: ein identitäres Produkt, es zeigt der Welt, X war hier.Die Fähigkeit alles in einem besonderen Stil schreiben zu können. Auch Wildstyle, so schreiben, dass es nur noch Spezialisten entziffern können. Dann wirken die Bilder oft schon wie abstrakte Gemälde und werden vielleicht dementsprechend geschätzt. Oft von Passanten zu hören, dass eine hohe Anzahl an Farben geschätzt wird, was ungefähr so tiefgängig ist, wie einen Farbfilm mit einem Schwarzweißfilm zu vergleichen und als einziges Merkmal die Farbigkeit anzuführen. Eine andere Tendenz war Antistyle. Sich zwar in die Konkurrenz des Namen Hochbringens zu begeben, aber die Regeln zu brechen, so zu malen wie Anfänger malen: Toystyle (stilistisch nicht technisch). Schwer zu sagen, ob es mehr oder weniger gemocht wird. Es entschärft den Kampf im Graffiti, aber sieht vielleicht mehr wie Schmutz aus als die bunteren Sachen. Allerdings sind sie auch selten aggressiv. Es ist ein hin und her, wie auch in den ersten Jahren des Streetart Hypes es dieses hin-und-her mit kleinen banalen Grafiken und dagegen aufwändige Collagen, aber auch Installationen aus einfachen Elementen der Stadt und Readymades gab. Die Selbstgeschichtsschreibung des Writings hat oft so angesetzt, dass Leute in NY Namen schrieben, sich dann auf die Buchstaben konzentrierten, Styles entwickelten, diese auf Zügen und Wänden probten, dies sich popularisierte. Da das wohl für Masse und Einzelfall zutrifft, ist es die plausible Geschichte des Writings. Dann gäbe es aber gar nicht mehr viel über sie zu schreiben, die Protagonisten feststellen, Datieren, Styles ordnen. Wurde schon zu viel gemacht. (weiterlesen auf rebel:art)

El schreibt über Graffiti #4: An die Wände

Die Wände ummanteln kerkerhaft das, was sonstwo nicht ist, Freiheit in Sicherheit. Die Grenze zu allen anderen. Oder allgemeiner, es gibt eine Innenseite und eine Außenseite, und die Außenseite richtet sich immer an die Öffentlichkeit, ist Teil des öffentlichen Raums und schirmt ein funktionales Inneres ab. Von außen Andere, ganz leicht mit Farbe, schreiben den Namen frei hin, das symbolische Zeichen dessen was es nicht gibt, eines Alleinseins, das nicht gekerkert bleibt. Und im Stil der Buchstaben findet die Kunst am unerlaubten Ort statt. Werbeanlagen bis zu 0,50 Quadratmeter können vom Unternehmen ohne Genehmigung an der Fassade angebracht werden, solange sie nicht dem Straßenverkehrs-, Bau- und Wegerecht widersprechen. Die Fassaden sind nicht neutral, die Fassaden sind bunt und sprechen so viel. Stillos und respektlos stehen sie da und schreien uns an. Wird also das freie Beschriften einer Wand als gewalttätig verstanden, so kommt das daher, dass das Recht die Färbung der Wand mit der Zerstörung der Wand verbindet. Mit einer Kanonenkugel die Wand zum Privaten zu durchbrechen, gleicht dem Vorgang milimetertief Farbe in sie zu spritzen. Von drinnen sind die Färbungen nicht zu sehen, das eigentliche Private, das abgeschottete, ist in Frieden (ruhen) gelassen. Verwirrt ist nur der Markt der öffentlichen Aufmerksamkeit: Während die einen ihren Trieben folgen, und ihre Markierungen anbringen, kaufen die anderen Fläche und montieren von Hirnforschern und Psychologen optimierte – ihr habt die Wissenschaft verraten, euch gegen den Mensch gewandt – Texte und Bilder, die wiederum die Triebe ansprechen sollen, und eine Triebabfuhr im Massenkonsum, statt in der Einzelkreation bewirken sollen. Der Mensch soll sich nach Industrienorm reproduzieren, statt Künstler werden zu wollen. (weiterlesen auf rebel:art)

El schreibt über Graffiti #5: Gesichter und Buchstaben

In der Kathedrale von Saint Denis im Norden von Paris finden sich historische Graffiti auf einigen Statuen, unter anderem aus dem 17. Jahrhundert. Etwas überraschend sind sie überall auf den Figuren zu finden, auch direkt auf den Gesichtern. Diese Einkratzungen erscheinen auf den ersten Blick sehr aggressiv, schließlich wird das Material der Skulptur selbst angegriffen, die Oberfläche abgetragen. Jedoch, bei Untersuchung der Art und Weise wie die Buchstaben sich auf der Oberfläche schlängeln ohne Stoff- oder Gesichtsfalten kreuzen, erscheint ihre vorrangige Intention auf keinen Fall zu sein, das Äußere der Statuen anzugreifen oder ihren Zeichenwert zu verändern. Diese erscheinen lediglich als ein geeigneter Raum um eine Spur zu hinterlassen. Auch die Schriftzüge auf einer Werbung in der Pariser Metro verdienen eine Untersuchung: der Wahl der Platzierung und der Art und Weise wie mit der Werbung interagiert wird. Die Schrift hat den Platz in der Werbung erhalten, an dem sie am effektivsten ist: Neben dem Gesicht, das selbst eine Zeichenqualität hat und in dem Bereich des Bildes das einer leeren Wand am meisten entspricht. Im Gegensatz zu der älteren Schrift auf der Statue wird das Gesicht nicht angerührt. Und auch der Slogan der Werbung bleibt intakt, die weiße Linie hätte nicht ausgereicht ihn zu verändern. (…weiterlesen auf rebel:art)

Mehr Kolumnen von EL werden sicherlich in unregelmäßigen Abständen auf rebel:art folgen. Bytheway vor einiger Zeit gabs mal einen interessanten Text zum Thema “Streetart vs Graffiti” der ging so:

Streetart vs Graff

Den anderen Tag gehe ich also zu der Ausstellung ”ask for trouble” von den Dänen. Ich stehe auf dem U-Bahnhof als diese Kids runterkommen. Intelligent stellen sie sich nicht grade an, beim Taggen. Ich folge amüsiert dem hektischen Treiben. Einer bemerkt, dass er nicht allein ist, und quatscht mich gleich lieber mal an. ”Haben Sie Zigarette? Nein? Hmmmmm, sind ja ganz schön cool, was? Und, finden Sie Graffiti auch cool, hä?” ”Klar macht mal Jungs is schon Super so. ” Dann kann ich´s aber doch nicht lassen und lass mir mal den Marker geben. So kommen wir ein wenig ins Gespräch. Sie finden raus, dass ich Odem persönlich gekannt habe, Ich finde raus, dass die Beiden zusammen so alt sind wie ich alleine jetzt. Wir fahren zusammen zur Ausstellung, die normalen Leute in der U-Bahn haben sich wohl etwas müssen sich wohl etwas gewundert, ob des merkwürdigen Gesprächs: ”Kennen Sie auch Dik und Pak und Zik und Zak und Tok und Blok und auch …. ???” ”Ja. Ja. Ja. Nein. Ja. Nein. Ja. Ja. Ja …..” Da musste ich an den Ausspruch, der angeblich von Phase2 stammen soll denken: Graffiti ist eigentlich was für Kids, das Problem nur, bis Du richtig gut bist, bist leider schon zu alt. Was ist also eigentlich los mit meiner Generation von Writern? Mal angenommen man hätte nicht Frau Kind Kegel Bausparvertrag und Hypothek, kann man sich dann ernsthaft noch intensiv damit beschäftigen seinen Namen an die Wand zu schmieren, in einem möglichst krassen burner Style zur Erlangung von hardcore viel Fame? Wünschenswert ist doch, dass auch das Graffiti adult wird. Und eben diese Entwicklung ist zur Zeit zu beobachten. Plötzlich geht es Writern um Ästhetik, um Auseinandersetzung mit Architektur, und hier der Quantensprung: sogar um Inhalte. Experimentierfreudigkeit macht sich breit in einer Bewegung, die bis vor kurzem nur zwischen Fillin und Outlines, Fat und Skinny und Bubble- und Wild-style zu differenzieren wusste. Es wird gestrichen, gedruckt oder geklebt, Poster werden tapeziert, Schablonen gesprüht. Werbung wird attackiert. Schatten gezeichnet. Und das ist auch gut so. Graffiti wirkt im öffentlichen Raum, das ist es doch nur sinnig, dass die Inhalte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. Mit ein paar Krikelkrakelbuchstaben spricht man nur eine Elite an, mit einer Faust jedoch alle. Die Augen haben mir die brasilianischen Zwillinge mit ihren schön hässlichen Figuren geöffnet. Auch schwärme ich für den arroganten Engländer mit seinen Schablonen. Aber so weit weg muss man gar nicht suchen. In Berlins Mitte und im anliegenden nahen Osten wächst Tag für Tag ein neues Verständnis für Vögel und anderes mehr. Kann man so was anders präsentieren, als auf der Strasse? Ganz besonders Mutige versuchen das ja. Da weiß ich nicht immer so genau. Wenn man der Stadt mal einfach, weil sie scheiße aussieht ein neues Design verpasst ist das cool, es riecht ein bisschen nach Revolution. Diese Chosen dann in eine Galerie zu hängen reißt sie aus dem Zusammenhang und raubt ihnen damit vielleicht (schon gesehen) die Daseinsberechtigung. Diese Art braucht den urbanen Raum zur Divergenz, sonst mag die Angelegenheit vielleicht an Reiz verlieren. Der Vollständigkeit halber will hier noch erwähnt sein, dass ich denke, dass es mehr braucht als ein Fahrrad und einen Eimer weißer Farbe, um da draußen was zu machen. Man braucht ein wenig Mut und einen Hut. Denn: Nicht alles was glänzt ist Gold und nicht alles was Street ist gleich Art. (pseudonymegesellschaft)