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Trains Of Thoughts – Ein Interview mit Timo Novotny

Auf einen gedanklichen Streifzug durch die Welt des Untergrunds – der U-Bahn – nimmt uns der neue Film ´Trains of Thoughts’ von Timo Novotny mit. Der essayistische Dokumentarfilm ist auf mehreren Ebenen ein Genuss: beeindruckende Bilder von Metropolen, unterlegt mit den eingehenden Bässen der Sofa Surfers. Gedankenfetzen, Bilder, Menschenmassen, Sätze, Lichter, Schicksale ziehen vorbei – dahinter die Großstadt. Die Reise beginnt in Wien und geht immer Richtung Westen über New York, Los Angeles, Tokio, Hongkong und endet in Moskau. Und wie ein Fahrgast treffend formuliert: „Each line has it’s own little drama.“ – Das U-Bahn-System als eine Parallelwelt, im urbanen Raum täglich benützt, aber nur selten wahrgenommen, enthält unzählige Tragödien, Komödien und Absurditäten.”. Im Interview erzählt Timo von der Idee des Films, den Dreh, über Wien, Graffiti-Tourismus und den Fotografen, der durch die Gänge führt, seine Reisen und vieles mehr!


TRAINS OF THOUGHTS (Trailer)


TRAINS OF THOUGHTS
Interview mit Regisseur TIMO NOVOTNY

Timo Novotny aus Böblingen studierte bei Peter Weibel Visuelle Mediengestaltung an der Universität für angewandte Kunst Wien (1994-2000). Seit 1995 realisierte und absolvierte Timo als Visualist und Performer Projekte und Auftritte in nahezu ganz Europa und den USA. Er ist Mitbegründer von monoscope, Sofa Surfers, vidok, void, visual.displacements, inLoops, u. a. Seit Beginn der Bandgeschichte stellt er die visuelle Ebene der Sofa Surfers. Bereits 1996 wurde Novotny für seinen Kurzfilm Wirehead als jüngster Medienkunstpreisträger des Landes Niederösterreich ausgezeichnet. 1999 war er Ko-Kurator des transcinema festivals in San Francisco. Sein bisher bekanntester Film Life in Loops – a Megacities Rmx, basierend auf Michael Glawoggers Dokumentarfilm Megacities, entstand 2006 und wurde wie schon das Original auf internationalen Festivals vielfach preisgekrönt. Im gleichen Jahr wurde sein Kurzfilm Neon in die permanente Ausstellung des Centre Pompidou in Paris übernommen. 2004 stellte er bei der Biennale in Venedig aus. Zuletzt bereiste er alle österreichischen Bundesländer mit dem Projekt „Sofa Surfers present Live Music & Visuals out of Der Knochenmann, Silentium! & Komm, süßer Tod“ (2009) sowie Belgien, Luxemburg, Italien, Spanien und die USA mit dem Projekt „Life in Loops – Live“ (2008–2009). Novotny lebt und arbeitet in Wien.

Die in der U-Bahn verbrachte Zeit ist eine müßige oder „verlorene“ Zeit, in der man in Gedanken abschweifen kann, philosophisch werden kann; und gleichzeitig repräsentiert nichts besser als die U-Bahn den Alltag, das Banale, das man täglich braucht. Hast Du Deinen Zugang zwischen dem Fortbewegungsmittel und der Metapher für die dunklen, geheimnisvollen Zonen der Stadt und der Menschen gesucht?

Was mich wirklich zum Projekt geführt hat, ist die Architektur. Wenn ich in einer Stadt von einem Spaziergang nach Hause komme und die Bilder auf meinem Fotoapparat anschaue, dann gibt es ca. 100 Bilder von der U-Bahn und eines von der Stadt. Die Prager U-Bahn hat mich in diesem Zusammenhang besonders inspiriert. In der New Yorker U-Bahn sind die Leute wirklich abgeschottet und dieses Nicht-Wissen, wo und wie man sich bewegt, hat Vor- und Nachteile. Es gibt Menschen, die sagen, es ist die wichtigste Zeit des Tages, weil niemand sie erreichen kann, sie zwar mit Millionen Menschen in diesem Blechkübel sind, aber in Wirklichkeit es die Zeit ist, die sie sich für sich nehmen und auf die sie sich ein bisschen freuen. Generell gesehen bedeutete es auch Mäuse in Labyrinthe stecken und schauen, wenn nach hundert Jahren die Labyrinthe anders gebaut sind, ob auch die Mäuse anders geworden sind. Die U-Bahn reflektiert auch das Stadtbild und erklärt, warum Menschen in Tokio so sind, wie sie sind, oder New York so ist, wie es ist. Wichtig war mir immer, die Musik und das urbane Treiben, das uns bewegt, zu erfassen. Ich wollte keinen bedeutungsschwangeren, philosophischen Film machen, das liegt mir nicht. Ich wollte mich aber auch nicht nur mit dem banalen Aspekt des täglichen Transports auseinandersetzen. Einsteigen und Aussteigen allen wäre zu wenig. Es geht darum, einen Spannungsbogen zu erhalten und auch einzelne Städte zu charakterisieren. Daher war mir auch diese Bewegung von Ost nach West sehr wichtig, wir bewegen uns kontinuierlich Richtung Westen. Dazwischen gibt es die Wien-Pausen, die man vielleicht nicht bräuchte, die aber recht schön vom Stress wegführen und auch erzählen, dass U-Bahn etwas Ruhiges und Poetisches sein darf.

Waren es die vielen Reisen die Dich auf die Idee gebracht, U-Bahnen nähere Betrachtung zu schenken?

Es waren im Besonderen eine Reise nach Prag und eine nach München, bei denen ich ein sehr starkes Architekturerlebnis empfunden habe. Natürlich habe ich durch meine Tourneereisen mit den Sofa Surfers und den Reisen für Dreharbeiten immer eine Affinität zu U-Bahnen entdeckt. Ich bin sehr fasziniert vom Reisen im Zug und von dieser Unwissenheit, mit der man sich durch den unterirdischen Raum bewegt. Es gibt in Florenz eine kurz Strecke, wo man mit der U-Bahn einen Hügel überqueren muss. Die U-Bahn macht dafür ein 360°-Loop, um zu beschleunigen, um über den Hügel zu kommen. Diese Schleife ist aber im Plan nicht verzeichnet, man macht täglich eine Art Achterbahnfahrt, ohne etwas davon mitzubekommen. Das finde ich amüsant. Ich wollte kein Loblied auf die U-Bahn singen, aber es gefällt mir, dass sie auch mit Emotionen verbunden ist, wie z.B. bei den Russen, die so einen Stolz für ihre U-Bahn in Moskau hegen.

Stellt die U-Bahn für Dich das Symbol für Urbanität dar?

Für einen Europäer, ja. Ich finde, das merkt man am besten in L.A. – Wenn man als Europäer in L.A ankommt, entsteht zunächst der Eindruck, es gebe dort keine U-Bahn, ein Europäer würde daraus schließen, dass er sich nicht im urbanen Raum befindet. In L.A. wissen sehr viele Menschen gar nicht, dass es eine U-Bahn gibt. Umgekehrt hat eine kleine Stadt wie Hannover eine U-Bahn, die ihre Besucher vom Flughafen zur Cebit oder in die Altstadt bringt, was bei den Menschen den Eindruck erweckt, massive Distanzen zu überwinden. Obwohl man die Distanzen mit dem Rad oder zu Fuß bewältigen könnte, entsteht der Eindruck, Hannover sei eine Weltstadt. Die U-Bahn hat etwas, was einen Raum zur Stadt macht.

Wie hast Du die Städteauswahl getroffen?

Es gibt weltweit 160 U-Bahn-Systeme. Das Ehrlichste wäre natürlich, 160 Dokus zu machen, in meinem Fall war die Prämisse das Kino und diese Welt über Kinobilder erfahrbar zu machen. Deswegen stand ich vor der Frage der Auswahl. Es ist gewiss ein Manko, dass Paris, London, Buenos Aires oder Mexico City fehlen. Man muss sich leider beschränken und ich finde, New York hat etwas Emblematisches, es ist die älteste U-Bahn Amerikas. Das Tolle daran ist, dass dort nichts funktioniert, es kommt auch vor, dass Leute stecken bleiben, dass die Leute mitten im Tunnel aussteigen und weiterwandern müssen und so auch miteinander ins Gespräch kommen. Dann kommt man nach L.A., in diese Anti-Stadt. Für mich ist L.A. der Inbegriff von Anti-Stadt, die dank Hollywood jedem ein Begriff ist. Es machte mir Spaß, dort unter der Oberfläche zu filmen, an Orten, die bisher kaum verfilmt worden sind. Von L.A. aus bot es sich natürlich an, nach Lateinamerika zu gehen, ich wollte mich aber weiter Richtung Westen bewegen. Der Kapitalismus und wie er sich in Tokio durchgesetzt hat, repräsentiert für mich Zukunft. Tokio ist der Ort, wo die Sonne aufgeht, und wo Menschen schon in einer Zukunftsform funktionieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir alle einmal so werden, wie die Menschen in Tokio. Ich habe dort ein Gesellschaftsbild wahrgenommen, das bestimmt ist vom Arbeiten, Nicht-mehr-Schauen, von Ordnung und Regeln. Ich habe das Gefühl, unsere Gesellschaften bewegen sich dorthin, etwas frisst sich hinein und irgendwann sind die Menschen innerlich kaputt, aber nach außen hin funktioniert alles. Die Bewegung geht weiter Richtung Westen und landet über den Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus – Hong Kong – im Altkommunismus in Moskau. Die Grundidee war die, Sozialsysteme zu analysieren und auch „varieties“ zu schaffen. Wir beginnen in Wien und enden in Wien, landen aber erst zum Schluss mit Moskau wieder in Europa. Es gibt Zwischenelemente, die in Wien spielen, die der Beruhigung dienen.

Es gibt in diesen Wiener Zwischensequenzen einen Fotografen, der durch die Gänge führt und etwas von einem Lotsen in die dunkle Welt hinunter hat. Ist er auch ein Alter Ego von Dir?

Ich wollte jemanden zeigen, der eine Art Guerilla-Fotograf ist oder auch eine Art Alter Ego von mir sein könnte. Ich wollte damit auch U-Bahn als Schauplatz zeigen, dass man sie auch anders nutzen kann, vielleicht illegal, durch die Tunnel wandert und man dort seine Ruhe, seinen Lebensausgleich findet. Ich habe erst während des Drehs erfahren, dass das Wiener U-Bahnsystem eine Hochburg für die Graffiti Writer ist. Es gibt hier einen wahren Graffiti-Tourismus, weil man sehr schnell in die Gänge rein und wieder raus kann. Es hat mich aber nicht besonders gereizt, die Graffitis zu zeigen, ich wollte einen Fotografen haben, weil es mich mehr fasziniert, dass da jemand runter gehen will, um seine Ruhe zu suchen und den Raum wahrnehmen und belichten will.

Die U-Bahn ist ein System, bei dem alles „auf Schienen“ und kontrolliert ist, bei dem die Sicherheit eine große Rolle spielt und gleichzeitig sagt einer Deiner Interviewpartner, dass die U-Bahn für ihn der Ort ist, wo man jeder Orientierung in Raum und Zeit verliert. Siehst Du die U-Bahn als einen Ort der Widersprüche in vielerlei Hinsicht.

Ja, ganz gewiss. Wir bewegen uns ja in den fünf Städten immer im Bereich des Legalen und Kontrollierbaren. Mit dem Fotografen in den Wiener U-Bahngängen hat man vielleicht das einzige Mal im Film auch Momente der Spannung, weil sich jemand auf Wege begibt, die man normalerweise nicht betreten darf – er geht den ganz anderen Weg und der ist eine Möglichkeit in jeder Stadt. Dieser Spannungsaufbau veranschaulicht ein bisschen mehr mein Denken.

Kannst Du die fünf Städte kurz charakterisieren?

Beginnt man in New York, dann ist der interessante Punkt der, dass New York einem den Eindruck vermittelt, dass dort alles möglich ist, dass es aber eine abgeschnittene Welt ist. Es gefällt mir, dass der Ort auch zweckentfremdet verwendet wird, dass er von Künstlern bespielt wird. Ich finde es großartig, dass die Möglichkeit besteht, dass das Ding stecken bleibt. Alles kann passieren und die Menschen bleiben unheimlich freundlich, weil sie miteinander kommunizieren müssen. In New York wird man selten unfreundlich angegangen. In Wien haben wir sofort ein Problem bekommen, sodass ich aussteigen musste. In New York ist alles möglich: die Kommunikation funktioniert bestens. Andererseits ist die U-Bahn ganz schön schlecht beisammen, es schneit hinein, es rinnt das Wasser runter. Sie repräsentiert die Stadt und das Leben dort. Die Wände sind außen genauso dünn gebaut wie unterirdisch. Wenn du unten bist, kannst du fühlen, wie es oben sein muss. In L.A. gibt es ein schönes Wechselspiel mit der Kamera. Wir haben einen Typen gewählt, der mit allen reden kann, der die U-Bahn kennt und sie auch benutzt. In L.A. gibt es unglaublich viele Menschen, die nie wussten, dass es eine U-Bahn gibt. Die Leute dort schauen alle gerne in die Kamera, es gibt einen Dialog, ein Spiel mit der Kamera und es geht um Repräsentation, Hollywood ist spürbar. Es ist aber auch ganz klar ersichtlich, wer in L.A. kein Auto hat und die U-Bahn nehmen muss, der liegt am unteren Ende der Gesellschaftskette.

In Tokio wird viel erklärt, weil es auch am schwierigsten zu verstehen ist. Wir haben eine Figur, der wir folgen. Sehr treffend ist die Aussage: Die Japaner sind so pünktlich, weil die Züge pünktlich sind. Unsere Produktionsleiterein war jeden Tag auf die Minute hier, das habe ich in keiner anderen Stadt erlebt. Für mich war es absurd, zu erfahren, dass es auch noch als Höflichkeit empfunden wird, dass man in den überfüllten Zug hineingedrückt wird oder dass eine Familie stolz auf ihren Vater ist, der Selbstmord begangen hat. Dort ist alles zweischneidig und schwer verständlich, daher der Sprecher. In Tokio ist man immer in Bewegung. Es gibt in der U-Bahn keine Künstler, kein Stehenbleiben, immer nur Funktionieren, leise, gesittet, ohne viel Aufhebens.

Die U-Bahn in Hong Kong repräsentiert für mich den total absurde Umstand, das U-Bahn nicht öffentlich ist, sondern im Besitz einer Privatfirma. Diese Firma kauft leere Orte, baut Riesenblöcke und die U-Bahn gleich mit. Das führt dazu, dass völlige nichtssagendes Brachland plötzlich zu einem teuren Lebensraum wird. Es kann vorkommen, dass man an die gleiche Firma seine Miete bezahlt, ihre U-Bahn benützt und in einem ihrer Shops arbeitet. Es kann sein, dass sie komplett deinen Lebensinhalt bestimmt. Wir haben gottseidank Gesprächspartner gefunden, die dazu eine kritische Haltung haben. Diese Firma expandiert und steht meines Erachtens für Kapitalismus in Höchstform. Diese Firma bestimmt den gesamten Herzrhythmus der Stadt und die Kontrolle über die Menschen ist total. Moskau kämpft mit den Resten des Kommunismus. Die Leute dort erzählen mit voller Überzeugung, dass sie die schönste U-Bahn der Welt haben, obwohl sie keine andere kennen. Man hat es ihnen nur lange genug eingebläut. Der Nationalstolz scheint mir sehr charakteristisch und der kommt über die U-Bahn sehr gut zum Ausdruck. Und dann sind in Moskau die Distanzen zwischen den Stationen endlos, einmal beging ich den Irrtum, an der Peripherie eine zu früh auszusteigen und bin dann eineinhalb Stunden gegangen.

Hast Du in der Recherche auch andere Städte besucht, wo Du schließlich nicht gedreht hast?

Ja, ich habe auch Seoul, Paris und London besucht. Ich wollte zwei asiatische, zwei amerikanische, zwei europäische U-Bahnen. Wien und Moskau könnten nicht unterschiedlicher sein. Die asiatischen U-Bahnen sind einander von der Anlage her sehr ähnlich, Tokio und Hong Kong sind allerdings von der Denkweise sehr unterschiedlich. Wenn ich jetzt kritisch sein möchte, dann ist es schade, dass ich Buenos Aires oder Mexico City nicht einbezogen habe, aber L.A. als Anti-Stadt war mir einfach zu wichtig. Ich wollte, dass es nicht nur urbane Städte gibt, sondern dass es auch diese eine Stadt gibt, wo man ankommt und es wird so getan, als hätten sie ein Transportsystem. Ich habe drei Monate für die Recherche eine Weltreise gemacht, dann habe ich in New York sieben Woche gedreht, was ein Ausnahmefall war, ansonsten waren es meist zwei Wochen.

Ist Filmen in der U-Bahn überall erlaubt?

In New York ist da die Auslegung des Gesetzes sehr schwammig. Filmen ist eigentlich verboten, videografieren ist erlaubt. Worin immer der Unterschied liegen mag. In den anderen Städten hatten wir Genehmigungen. Und wenn man so nahe am Menschen dran ist, muss man natürlich fragen, ob man filmen darf und eine Unterschrift einholen.

Wie kann man im engen Raum der U-Bahn überhaupt drehen?

In New York war es mir sehr wichtig, mit möglichst vielen Menschen zu reden. Wir haben bei diesen Gesprächen oft gleich gefragt, ob wir mit der Kamera mitfahren dürfen und ließen den Leuten offen, was sie tun wollten – schlafen, lesen, dasitzen. Die New Yorker waren sehr offen. In Tokio und Hong Kong haben wir ähnlich gearbeitet, allerdings mit dem Trick, dass wir zwei Übersetzerinnen mit einer Kamera vorausgeschickt haben und uns zu zweit noch mit einem Teleobjektiv im Hintergrund hielten. Wenn die beiden sich bedankten und die Gesprächspartner sich wieder entspannten, konnten wir mit unserem Objektiv noch diesen Moment der Entspanntheit mitfilmen. Das sind oft die ehrlichsten Momente, weil das Wissen ums Gefilmt-Werden immer eine Natürlichkeit nimmt. So haben wir eine Lösung gefunden, die rechtlich in Ordnung war und der Natürlichkeit eine Chance bot.

Das Team war immer sehr klein, wir brauchten natürlich ÜbersetzerInnen, aber da Stative und Licht nicht verwendet werden durften und große Kameras ja auch abschrecken, waren wir nur wenige Leute. Ich habe auf diese japanische Spiegelreflexkamera gewartet, sofort bestellt und dann ging es sofort los. Diese Kamera war die Rettung, man hält sie wie einen Fotoapparat. Wir haben immer wieder versucht, wie als Touristenpaar aufzutauchen, um so wenig störend wie möglich zu wirken. Ich verstehe ja auch, dass man sich in der U-Bahn in der Privatsphäre gestört fühlt. Gerade in New York, wo, wie ich schon erzählt habe, die U-Bahn-Fahrt oft der einzige Moment des Tages ist, in dem sich die Menschen auf sich selbst zurückziehen können. Ich finde, der Film ist sehr ehrlich geworden, es gibt keine Szene, wo ich sagen musste, mach das noch einmal oder wo ich jemandem Anweisungen gegeben habe, wo er sich hinstellen soll. In Moskau haben wir immer darauf geachtet, dass wir nicht im Weg stehen.

50% der Kamera habe ich selber gemacht, für die andere Hälfte hatte ich mehrere Kameraleute. Beim Schnitt stand dann nur die Frage im Vordergrund, wie etwas zusammenpasst, wie sich ein Film daraus bildet, der der Bewegung der U-Bahn und ihrem Rhythmus Rechnung trägt und der ein Gefühl für den Raum vermittelt.

Musik ist ja ein essentieller Teil Deiner Arbeit. Hat jede U-Bahn ihren eigenen Klang und Rhythmus?

Ja, ich finde schon. Natürlich sind Stimmung und Geruch auch nicht wegzudenken. Den Sound kann ich nicht isoliert betrachten, weil gerade in New York der Geruch so ein wesentliches Element ist. Aber ich finde schon, dass sie Klänge und Tempi haben. In Moskau fahren die Züge ganz schnell, wenn man dort den iPod auf volle Lautstärke stellt, hört man die Musik kaum, würde man das in Tokio machen, würde man seine Nachbarn unglaublich stören. Dort ist auch das Verwenden des Telefons ein Riesen-Tabu. Auch da ist Tokio anderen Städten voraus. Tempi und Sounds sind sehr charakteristisch und ich hatte immer gleich im Kopf, wem von den Sofa Surfers ich welche Stadt für die Musik überantworten würde. Ich arbeite schon so lange mit ihnen und kenne sie so genau und wusste daher, wer wofür gut sein könnte. Ich selbst mache keine Musik bei den Sofa Surfers, es kann sein, dass ich aus den Stücken der anderen Loops bastle, Stimmen oder Sounds noch dazu mische, aber ich darf mich nicht als Musiker bezeichnen. Ich bin live auf der Bühne mit den Sofa Surfers nur als Visualist tätig und mache die Musikvideos, Covers – eben alles, was visuell ist. Ich erlebe allerdings die Musik sehr nahe und da ich so viele Live-Bilder bastle, kann ich auch sehr gut mit Rhythmik und Bildmaterial umgehen. Das war bei diesem Film sehr hilfreich.

Würdest Du Trains of Thoughts auch durch die vielen Off-Stimmen mit ihren Reflexionen zur Fortbewegung unter Tag eher als Essay oder eher als Dokumentarfilm bezeichnen?

Ich halte ihn für einen Dokumentarfilm, insofern er ein sehr ehrlicher Film ist, abgesehen von Montage und Musik. Von den Aufnahmen her ist alles echt und puristisch, wie es meiner Meinung nach sein soll, andererseits ist es natürlich ein visueller Essay über die U-Bahn. Die Off-Stimmen wollte ich, das entsprach dem Konzept, das ich mit meinem Regieassistenten Jakob Barth entwickelt hatte. Lange hat es nicht funktioniert, weil wir den Fehler machten, dass wir zuviele Architekturaufnahmen mit Stimmen im Hintergrund hatten. Wir haben erst im Laufe des Schnitts herausgefunden, dass es den Menschen, der in der U-Bahn sitzt braucht, um besser die Off-Stimme hören zu können. Wir haben uns ein Jahr lang darum bemüht, einen rein architektonischen Film zu machen mit vielen emotionalen, persönlichen Gedankenebenen. Ich wollte die Menschen nicht zeigen, sondern nur hören und spüren. Es überanstrengt aber den Zuschauer, noch einen Ort zu sehen, während man einen Gedankengang hört und das Bild erzielt auch nicht seine Wirkung. Es war von der Idee her wichtig, dass es nur Off-Stimmen sind. Mir war es auch wichtig, dass der Zugang zu jeder Stadt anders ist. In New York wollte ich, dass wir nur über Off funktionieren, in L.A. gab es den Entertainer, in Moskau haben wir die Reisegruppe. Es war wichtig, da zu variieren und das Stadterlebnis, wie man es als Europäer empfindet nahbar und erfahrbar zu machen. in L.A. war es wichtig, jemanden zu haben, der die Stadt kennt, denn da unten hatte ich Angst, auch wenn das gar nicht rüberkommt. Alleine in L.A. unterirdisch unterwegs zu sein, war immer unangenehm. Ein Klischee, das sich dort allerdings erfüllt. Heinz ist dort geboren und großgeworden, der konnte mit diesen Situationen umgehen, der hatte vor Waffen keine Angst.

Wie bist Du auf den Titel Trains of Thoughts gekommen?

Der entstand nach einer langen Suche und dann ich entdeckte ich diese schöne Doppelbedeutung von „train of thought“, der doppelte Plural ist ja im Englischen wiederum nicht korrekt, da gibt es nur trains of thought. Mir ging es um den Zug und die Schienen und ganz viele Gedanken und ich fand, dass das in diesem Bild so schön zueinander fand. Ich wollte nicht, dass es zu philosophisch und intellektuell im Zugang wird. Ich habe die Texte von Paul Virilio zu den Nicht-Orten und zur Metro gelesen, ich wollte aber nicht, dass es zu kompliziert wird. Kino sollte schon auch Entertainment sein. Ich habe versucht, einen Mittelweg zu gehen, wo man die Stimmung mitbekommt, ohne mit Fakten und Zahlen gelangweilt zu werden.

TRAINS OF THOUGHTS Teaser (Wien, New York, Tokio & Moskau)


Regie & Kamera: Timo Novotny
Laufzeit: 85min, digital
Musik: Sofa Surfers
Regieassistenz: Jakob Barth
Produktionsleitung: Katica De Pascale
Zusätzliche Kamera: Jakob Barth, Katica De Pascale, Enzo Brandner, Simone Laimer, Michael Reiter
Schnitt: Timo Novotny, Jakob Barth, Georg Scherlin, Martin Kaindl, Claudia Tschabuschnig,
Schnittassistenz: Gerald Schober, Armin Herzog
Zusätzlicher Sound: Franz Moritz & Oliver Brunnbauer
Sounddesign: Michael Plöderl, Markus Kienzl
Soundmastering: Blautöne
Produzenten: Ulrich Gehmacher, Timo Novotny
Drehorte: New York, Los Angeles, Tokio, Hong Kong, Moskau, Wien
Drehzeit: Januar – Dezember 2010
Fertigstellung: Frühjahr 2012
Cinema Release: 07.Dezember 2012 (Österreich)


Unterstützt von:
Filmfonds Wien, Österreichisches Filminstitut, ORF, ARTE

Uraufgeführt im Wettbewerb des Filmfestivals Karlovy Vary und Eröffnungsfilm des Österreich Pavillons bei der Biennale Venezia 2012.

Österreich-Premiere beim Festival „This Human World“ (07.12.2012)

www.TrainsofThoughts.com