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Ist das Kunst oder kann das weg

Weggeschrubbt

Dortmund – Es ist ein Anruf, den Museumsdirektoren ein Berufsleben lang fürchten, Kurt Wettengl hat ihn jetzt hinter sich. Als er vor einigen Tagen die Nummer eines anonymen Kunstsammlers wählte, musste er ihm erzählen, dass etwas verloren gegangen war, etwas Unwiederbringliches.

Wettengl leitet das Museum am Ostwall in Dortmund, es zeigt Kunstsammlungen aus verschiedenen Jahrhunderten, vom Nouveau Réalisme bis zur Klassischen Moderne. Erst im Dezember ist die Ausstellung in die neuen Räume im „Dortmunder U“ gezogen.

Ende Oktober passierte, was jetzt ans Licht kam und Wettengl zum schwierigsten Anruf seiner Karriere zwang. Oben, im 5. Stock des Museums, wo in vielen kleinen Kabinetten moderne Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ausgestellt ist, nahm sich eine Putzfrau die Installation des in Dortmund geborenen Künstlers Martin Kippenberger vor. Wischen ist ihr Job, und den nahm sie sehr ernst.

Als sie mit der Installation fertig war, sie heißt „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“, hatte die Frau alles aufgewischt, was ihr aufwischenswert erschienen war.

Eine weißlich-kalkige Schicht

„Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ ist eine Installation, deren künstlerische Brillanz sich vielleicht nicht jedem Museumsbesucher sofort erschließt. Sie besteht aus einem mannshohen Turm aus Holzlatten, unter dem ein großer Gummitrog steht. Den Boden dieses Maurertrogs bedeckte eine weißlich-kalkige Schicht, die Kenner gerne Patina nennen.

Die Patina ist jetzt weggefeudelt, „unwiederbringlich verschwunden“, wie es aus dem Museum heißt. Aufgenommen von einem Wischmopp, ausgewrungen in ein Waschbecken, abgeflossen in die Dortmunder Kanalisation. Wahrscheinlich das teuerste Abwasser, das jemals durch den Ruhrpott floss.

Die Zerknirschung im Dortmunder Ostwall-Museum ist jetzt groß. Betroffenheit, Fassungslosigkeit, Unglaube – das sind die Worte, die aus dem Museum dringen. Und es ist noch mehr: Seit die Geschichte in der Welt ist, weiß auch Direktor Wettengl, dass die Liste der tollpatschigen Museumsputzfrauen jetzt um das Beispiel seines Hauses reicher ist.

800.000 Euro für den Kippenberger

1986 wischte eine Putzfrau in der Düsseldorfer Kunstakademie die „Fettecke“ von Joseph Beuys einfach weg. 400.000 Euro Schadensersatz soll das Land Nordrhein-Westfalen gezahlt haben. In Neukölln überpinselten ambitionierte Maler 1998 ein 12-Quadratmeter großes Nashorn-Gemälde auf einer Hauswand, 80.000 D-Mark teuer.

Dann wäre da noch der dienstbeflissene Londoner Bobby, der doch nur auf einen Stuhl im St.-James-Palast gestiegen war, um das Fenster zu schließen. Beim Absteigen riss er ein Loch in ein Bild – bitter für die Queen, denn ihr gehörte das Gemälde. Ein Casino-Mogul aus Las Vegas rammte bei einem Umtrunk seinen Ellenbogen in seinen ersten Picasso, eine junge Amerikanerin fiel im Metropolitan Museum of Art in New York in das Bild „The Actor“, auch das ein Picasso. Und diesen Sommer wollte der Vorsitzende des muslimischen Kulturzentrums in Bristol doch nur einen gepflegten Eindruck vermitteln – und ließ ein Banksy-Graffito vor dem Gebäude übermalen.

In Dortmund beginnen jetzt spannende Gespräche. Die Kippenberger-Installation ist mit 800.000 Euro taxiert, was die Versicherung des Museums ebenso interessieren dürfte wie die Versicherung der Reinigungsfirma, bei der die emsige Putzfrau beschäftigt war.

Martin Kippenberger starb 1997, einem Massenpublikum wurde er zeitlebens nicht bekannt. Er galt als schwierig, als Zyniker, der dem Kulturbetrieb den Spiegel vorhielt. „Kippenberger bringt den Wahnsinn des ausgehenden Jahrhunderts auf den Punkt“, schrieb ein Reporter mal über den Installationskünstler.

Vielleicht hätte ihm die Posse gefallen. Sie illustriert, dass Kunst von der Zuschreibung lebt und einen Wert nur für den besitzt, der ihn auch sehen will. In einem seiner letzten Interviews sprach der Meister einen Satz, der seitdem wie zeitlos durch die Welt der Museen geistert: „Auch Dummheit kann ja zur Kunst werden.“


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Posted: 7. November 2011  Posted By: admin